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Abschnitt B. Capitel XL
Lust und Unlust besteht in Befriedigung und Nichtbefriedigung
des Begehrens, welche von Aussen gegeben werde, und welche
der Mensch nur dadurch beeinflussen kann, dass er in die
äusseren Umstände entsprechend eingreift, was der Zweck alles
Handelns ist. Wenn seine Macht dazu nicht ausreicht, die Be¬
friedigung seiner Begehrungen herbeizuführen, so muss er eben
die Unlust tragen, und kann dann diese nur dadurch vermindern
oder vernichten, dass er die Begehrung vermindert oder ver¬
nichtet, in deren Nichtbefriedigung die Unlust besteht. Wenn
man dies consequent bei jeder Unlust durchführt, so stumpft
man nach dem Gesetz der Gewohnheit die Erregungsfähigkeit
der Begehrungen ab, vermindert mithin ebenso die zukünftigen
Lustempiindungen als die zukünftigen Unlustempfindungen. Wer
mit mir der Ansicht ist, dass im Menschenleben durchschnittlich
die Summe der Unlustempfindungen die Summe der Lustempfin¬
dungen bei Weitem überwiegt, wird dieses allgemeine Prineip
der Abstumpfung als logische Consequenz dieser Ansicht zu¬
geben müssen ; wer aber dieser Ansicht nicht oder nur bedin¬
gungsweise beitritt, den verweise ich auf die nicht unbeträcht¬
liche Anzahl derjenigen Unlustempfindlingen, denen gar keine
Lustempfindung gegenübersteht, d. h. bei denen die Befriedigung
der zu Grunde liegenden Begehrung ausser dem Bereich der
Möglichkeit liegt, als z. B. bei Schmerz über vergangene, nicht
mehr zu redressirende Ereignisse, Aerger, Ungeduld, Neid, Miss¬
gunst, diejenige Reue, welche keinen sittlichen Nutzen bringen
kann, ferner übermässige Empfindlichkeit, grundlose Eifersucht,
übermässige Aengstlichkeit und Besorglichkeit für die Zukunft,
zu hoch verstiegene Ansprüche im Leben u. s. w. — Man er¬
wäge nur, wie viel das Leben der Menschheit gewinnen würde,
wenn man jeden einzelnen dieser Feinde des Seelenfriedens aus
der Welt streichen könnte, — der Vortheil wäre unberechenbar;
und doch steht einem Jeden frei, durch Anwendung der bewussten
Vernunft sein Leben von diesen Störenfrieden zu reinigen, wenn
er nur bei einigen misslungenen Versuchen nicht gleich den
Muth zum Kampfe verliert. — So haben wir hier einen dritten
Grund zur Unterdrückung der Affecte gefunden.
8. Gewährung des höchsten und dauerndsten
menschlichen Genusses im Forschen nach Wahr¬
heit. Je concentrirter und heftiger ein Genuss ist, desto kürzere
Zeit kann er nur dauern, bis die Reaction eintritt, und desto
länger muss man bis zu seiner Wiederholung warten; man denke