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Abschnitt B. Capitel XI.
so bald nicht gelangen würden, welche aber durch Störung der
Stimmung, Beirrung des Intellects, Erzeugung nutzloser Unlust¬
empfindungen u. s. w. nachtheilig wirken. Niemals aber kann
die bewusste Ueberlegung unmittelbar eine vorhandene Begierde
beeinflussen, sondern nur durch mittelbare Erregung einer ent¬
gegengesetzten. — Dass die angeführte Art und Weise der Be¬
einflussung des Willens durch den Intellect in der That die einzig
mögliche und überall practisch vorkommende ist, wird Jeder
leicht zugeben, der dieses Gebiet der Psychologie ein wenig zum
Gegenstände seines Nachdenkens macht; dies, sowie dass der
Gegenstand unserem eigentlichen Thema schon ferner liegt, hält
mich von weiterer Ausführung desselben ab. Ich will nur noch
anführen, dass sich allein von diesem Standpuncte aus eine
Characterveränderung aus bewusster Ueberlegung erklären lässt.
Wir haben nämlich die Möglichkeit gesehen, in jedem einzelnen
Falle den Ausfall der Resultante anders zu bestimmen, als es
beim blossen Ueberlassen an das Wirken der sich von selbst
darbietenden Motive geschehen würde, und dadurch die Möglich¬
keit, in jedem einzelnen Falle erfolgreich gegen die Affecte an¬
zukämpfen, welche in Folge des einmal bestehenden Characters
am leichtesten erregbar sind und daher am häufigsten auftauchen.
Wenn nun diese Unterdrückung bei jeder Gelegenheit regelmässig
eine längere Zeit hindurch eintritt, so wird sich nach dem Ge¬
setze der Gewohnheit durch die dauernde Unthätigkeit und
Nichtbefriedigung des betreffenden Triebes seine Erregungsfähig¬
keit schwächen, dagegen werden die häufig und stark erregten
Anlagen sich verstärken, d. h. der Character wird sich ändern.
So haben wir auch die Möglichkeit einer Characterveränderung
durch bewusste Ueberlegung, freilich nur mit Hülfe langer Ge¬
wohnheit, begriffen (vgl. Phil. Monatshefte Bd. IV Hft. 5 über
Bahnsen’s Characterologie).
Hiermit ist die oben gestellte Grundfrage in ihren beiden
Theilen bejahend beantwortet und wir können nun einen kurzen
Ueberblick nehmen über das, was bewusste Ueberlegung und
Erkenntniss dem Menschen in practischer Beziehung zu bieten
vermag.
1. Verhinderung von Täuschungen der Erkennt¬
niss durch den Einfluss von Affecten. Schon früher
haben wir gesehen, wie das Auftauchen der Vorstellungen wesent¬
lich vom augenblicklichen Interesse abhängig ist. Daher kommt