Das Unbewusste in der Entstehuüg der sinnlichen Wahrnehmung. 299
des Sehnerven bei seinem Eintritt in die Yierhligel noch eine
dem Netzhautbilde entsprechende Anordnung und Lage der Fa¬
sern zeigen könnte, und noch viel weniger Boden würde die
Annahme haben, dass im Centralorgan selbst eine räumlich so
vertheilte Affection der Zellen stattfände, dass zwischen ihr und
Retinabild eine ähnliche Proportionalität der extensiven Verhält¬
nisse wie zwischen Retinaaffection und Ding stattlände. Da
aber diese afficirten Zellen im Centralorgan selbst dann noch
relativ selbstständig wären, und nur durch Leitung mit einander
communicirten, so wäre selbst bei solcher unmotivirten Annahme
immer noch nicht ersichtlich, wie das als Summationsphänomen
aus den Zellenbewusstseinen resultirende Bewusstsein zu einer
extensiven Anordnung der Empfindungen kommen sollte, welche
den Lagenverhältnissen der afficirten Zellen entspräche. Es
giebt keine Brücke zwischen realräumlicher Lage der empfin¬
dungserzeugenden materiellen Theile und idealräumlicher Lage
der in extensive Anschauung geordneten bewussten Empfindun¬
gen, denn der Raum als reale Daseinsform und der Raum ais
bewusstideale Anschauungsform sind so incommensurabel wie der
reelle und der imaginäre Theil einer complexen Zabi, wenn
gleich beide in sich denselben formellen Gesetzen unterworfen
sind. Dies ist auch der Grund, warum selbst die physiologisch
ganz unhaltbaren Theorien von einer einzigen letzten Central¬
zelle (wie schnell müsste dieselbe ermüden!) oder gar einer
punctuellen Centralmonade durchaus unfähig sind, diese Brücke
zu schlagen. Sind reale und bewusstideale Räumlichkeit hete¬
rogene Gebiete, von denen keins am andern Theil haben kann,
so können realräumliche Verhältnisse der empfindungserzeugen
den materiellen Theile aut die Empfindung überhaupt nicht von
Einfluss sein, so ist die Lage der empfindenden Hirntheile
gleichgültig, und nur die theils von der Beschaffenheit der
Centraltheile, theils von der Intensität und Qualität der zugeleiteten
Bewegung abhängige Art der Schwingungen von Einfluss
für die Beschaffenheit der entstehenden Anschauung.
Dieses Gesetz, das für jeden Philosophen a priori selbstevident
sein muss, ist übrigens von physiologischer Seite schon früher formu-
lirt und wohl kaum ernstlich angefochten worden. Lotze drückt das¬
selbe so aus: identische Schwingungen verschiedener
Centralmolecüle bringen ununter scheid!) aie Em¬
pfindungen hervor, so dass mehrere gleichzeitig schwin-