Das Unbewusste im Denken.
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Untersatz gegeben ist) um das Auffinden des passenden Ober¬
satzes ; ist dieser gefunden, so ist auch sofort der Schlusssatz im
Bewusstsein, ja sogar der Obersatz bleibt oft unbewusstes Glied
des Processes. Natürlich kann derselbe Untersatz zu vielen
Obersätzen stehen, wie ein Subject zu vielen Prädicaten, aber
wie für den vorliegenden Zweck eines Urtheils immer nur Ein
Prädicat diejenige Bestimmung des Subjects giebt, welche zur
Fortsetzung der Gedankenfolge auf das vorgesteckte Ziel hin
dienen kann, so kann auch nur ein bestimmter Obersatz denjeni¬
gen Schlusssatz erzeugen helfen, welcher diese Gedankenfolge
fördern kann. Es handelt sich also darum, unter denjenigen all¬
gemeinen, im Gedächtniss aufbewahrten Sätzen, mit denen der
gegebene Fall sich als Untersatz verbinden lässt, gerade den
Einen in’s Bewusstsein zu rufen, welcher gebraucht wird, d. h.
unsere allgemeine Behauptung bestätigt sich auch hier. Z. B.
wenn ich beweisen will, dass in einem gleichschenkeligen Dreieck
die Winkel an der Grundlinie einander gleich sind, so brauche
ich mich bloss des allgemeinen Satzes zu erinnern, dass in jedem
Dreieck gleichen Seiten gleiche Winkel gegenüber liegen ; sobald
mir dieser früher klar geworden ist und ich mich seiner erinnere,,
ist eo ipso auch die Conclusion fertig. Ebenso wenn mich Je¬
mand fragt, was ich vom Wetter halte, und dabei die Bemerkung
macht, dass das Barometer stark gefallen sei, so brauche ich
mich bloss des allgemeinen Satzes zu erinnern, dass nach jedem
starken Falle des Barometers das Wetter umschlägt, so bin ich
selbstverständlich mit der Conclusion fertig: „das Wetter wird
morgen Umschlagen“; hier wird sogar zweifelsohne der allge¬
meine Obersatz unbewusst bleiben, und die Conclusion ohne
Weiteres eintreten.
Fragen wir aber, wie wir (mit Ausnahme der Mathematik)
zu den allgemeinen Obersätzen kommen, so zeigt die Unter¬
suchung, dass es auf dem Wege der Induction geschieht, in¬
dem aus einer grösseren oder geringeren Anzahl wahrgenomme¬
ner besonderer Fälle die allgemeine Kegel mit grösserer oder ge¬
ringerer Wahrscheinlichkeit abgeleitet wird. Diese Wahrschein¬
lichkeit steckt wirklich implicite in dem Wissen vom Obersatze
darin, und man kann sie bei gebildeten und denkgewohnten
Menschen durch Markten und Feilschen um die Bedingungen
einer für den nächsten besonderen Fall proponirten Wette als
Zahlenausdruck herausholen ; natürlich aber hat man für ge-