Volltext: Philosophie des Unbewussten. Spekulative Resultate nach inductiv-naturwissenschaftlicher Methode. Dritte beträchtlich vermehrte Auflage

Das Unbewusste in der geschlechtlichen Liebe. 
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Wahn wird. Es ist daher diese Bemerkung auf jene Thiere ein¬ 
zuschränken, deren Bewusstsein zu solchen Generalisationen fähig 
ist, bei den tiefer stehenden hat es eben bei dem zwingenden 
Triebe sein Bewenden, ohne dass es zur Erwartung des Genusses 
kommt. — Wie nützlich übrigens auch für die Individuen der 
höheren Thierarten jener Wahn ist, sieht man daran, dass gerade 
dieser geschlechtliche Wahn das erste und wichtigste Mittel in 
der Natur ist, um den Individuen dasjenige Interesse für einander 
einzuflössen, welches erforderlich ist, um die Seele in genügen¬ 
dem Grade für das Mitgefühl empfänglich zu machen. Die Bande 
der Ehe und Familie sind daher auch bei Thieren, wie bei rohen 
Menschen die ersten Stufen, auf denen der Weg zur bewussten 
Freundschaft und zur Sittlichkeit betreten wird, sie sind das erste 
Morgenroth aufdämmernder Cultur, schönerer und edlerer Ge¬ 
fühle und reinerer Opferfreudigkeit. 
Man wird vielleicht ein wenden wollen, dass nach der Theorie 
der polarischen Ergänzung keine unglückliche Liebe Vorkommen 
könne, doch ist dies offenbar ein übereilter und falscher Einwurf. 
Denn: wenn A sich in B verliebt, so heisst das: B ist für A 
eine geeignete Ergänzung, oder A wird mit B vollkommenere 
Kinder zeugen als mit Anderen. Nun braucht aber keineswegs 
auch A für B eine geeignete Ergänzung zu sein, sondern B kann 
vielleicht mit vielen Anderen vollkommenere Kinder zeugen als 
mit A, wenn z. B. A eine ziemlich unvollkommene Darstellung 
der Gattungsidee ist ; folglich braucht keineswegs B sich in A zu 
verlieben. Nur dann, wenn Beides hochstehende Individuen 
sind, wird auch B schwerlich ein Individuum finden, mit dem 
es vollkommenere Kinder zeugen könnte als mit A, und dann 
werden Beide gleichzeitig von der Leidenschaft ergriffen, dann 
sind sie wie die sich wieder findenden Hälften des getheilten 
Urmenschen im Platonischen Mythus. Dazu kommt in einem 
solchen Falle noch, dass nicht bloss den Kindern diese polarische 
Uebereinstimmung zu Gute kommt, sondern in einer anderen 
Beziehung, als die Liebesleidenschaft wähnt, auch den Eltern; 
weil nämlich auch für die höchste Freundschaft die polarische 
Uebereinstimmung der Seelen die günstige Bedingung ist. 
Zur Verständigung für Diejenigen, denen das Resultat des 
letzten Capitels neu und abstossend erscheinen möchte, mache 
ich schliesslich noch einmal darauf aufmerksam : 1) dass, so lange
	        
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