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Abschnitt A. Capitel VIII.
die Wirkung Zweck ist? Dass aber endlich die Seele in der
ersten Zeit des Embryolebens ohne Nerven arbeiten muss, kann
gewiss nicht gegen unsere Ansicht sprechen, da wir ja nicht
nur in den nervenlosen Thieren alle Seelenwirkungen ohne
Nerven erfolgen sehen, sondern auch am Menschen weiter oben
genug Beispiele der Art angeführt haben, ausserdem aber das
Embryo in der ersten Zeit gerade diejenige halbflüssige Structur
hochorganisirter Materie hat, welche Nervenwirkungen zu er¬
setzen geeignet ist.
Wenn wir nun erstens materialistische Erklärungsversuche
als ungenügend erkennen, zweitens eine prädestinirte Zweck¬
mässigkeit der Entwickelung in Anbetracht dessen unmöglich
erscheint, dass jede Gruppirung von Verhältnissen im ganzen
Leben nur Einmal vorkommt, und doch jede Gruppirung von
Verhältnissen eine andere Reaction fordert, und gerade diese
geforderte hervorruft, wenn drittens die einzig übrig bleibende
Erklärungsweise, dass die unbewusste Seelenthätigkeit selbst
sich ihren Körper zweckmässig bildet und erhält, nicht nur
nichts gegen sich, sondern alle nur mögliche Analogien aus den
verschiedensten Gebieten der Physiologie und des Thierlebens
für sich hat, so scheint wohl die Beglaubigung der individuellen
Vorsehung und Bildungskraft hiermit so wissenschaftlich sicher,
als es bei Schlüssen von der Wirkung auf die Ursache nur
möglich ist. (Vgl. hierzu : Ges. philos. Abhandlungen Nr. VI.
„Ueber die Lebenskraft“).
So schliesse ich denn diesen Abschnitt mit dem schönen
Worte Schopenhauers: „So steht auch empirisch jedes Wesen
als sein eigenes Werk vor uns. Aber man versteht die Sprache
der Natur nicht, weil sie zu einfach ist.“