170
Abschnitt A. Capitel VIII.
würde. Dieser Art sind aber die meisten Fälle, wo behauptet
wird, dass Organismen unzweckmässig eingerichtet seien; es
reducirt sich darauf, dass ihnen Einrichtungen fehlen, welche für
gewisse Fälle zweckmässig sein würden, in den meisten
anderen Fällen oder Beziehungen aber unzweckmässig. Eine
andere Art von Vorwürfen der ünzweckmässigkeit wird durch
die Constanz der morphologischen Grundtypen möglich, ’welche
ein durchgehendes Naturgesetz bildet, und die Einheit aller orga¬
nischen Formen, die Einheit des ganzen Schöpfungsplanes nur in
um so helleres Licht setzt. Es ist die lex parsimoniae, welche
sich auch im Erfinden der organischen Formen bewahrheitet, in¬
dem es der Natur leichter fällt, hier und da unschädliches Ueber-
flüssiges stehen zu lassen, als immer wieder Veränderungen vor-
zunebmen und neue Ideen durchzuführen; sie bleibt vielmehr bei
der möglichsten Einheit der Idee stehen, und nimmt an dieser
gerade nur so viel Aenderungen vor, als unumgänglich nothwen-
dig sind. Von dieser Art sind die rudimentären Zitzen bei männ¬
lichen Säugethieren, die Augen des Blindmolls, die Schwanzwirbel
bei schwanzlosen Thieren, die Schwimmblase bei Fischen, die
immer auf dem Grunde leben, die Gliedmaassen der Fledermäuse
und Cetaceen u. dgl. m.
Endlich ist zu bemerken, dass wir bei dem zweckmässigen
Wirken des Bildungstriebes ebenso wie bei dem des Instinctes
ein Hellsehen des Unbewussten anerkennen müssen, da alle
Organe früher im Fötusleben entwickelt werden, als sie in Ge¬
brauch treten, und oft sogar sehr bedeutend früher (z. B. Ge¬
schlechtsorgane). Das Kind hat Lungen, ehe es athrnet, Augen,
ehe es sieht, und kann doch auf keine Weise anders als durch
Hellsehen von den zukünftigen Zuständen Kenntniss haben,
während es die Organe bildet; aber ein Grund gegen die Bil-
dungsthätigkeit der individuellen Seele kann dies nicht sein, da
es um nichts wunderbarer ist, als das Hellsehen des Instinctes.
Gehen wir nunmehr dazu über, den stetigen und allmählichen
Anschluss des organischen Bildens an die Leistungen des In¬
stinctes zu betrachten. — Die Nester, den Bau und die Höhlen,
welche sich die Thiere bauen und graben, betrachtet noch Jeder
als Wirkungen des Instinctes. Der Pfahlwurm bohrt sich mit
seiner Schale in Holz, die Bohrmuschel in weichen Felsen eine
Höhle; der Sandwurm bohrt sich in den Sand und klebt diesen
mittelst des an seiner Hautfläche ausgeschiedenen Saftes zu einer