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Einleitendes, Capitel I. b.
höchsten Resultaten der inductiven Wissenschaft nach inductiver
Methode zu verbinden, und damit die allgemein zugängliche
Brücke zu den Principien zu schlagen, und diese bisher blos
subjectiven Ueberzeugungen zur objectiven Wahrheit zu erheben.
In Hinblick auf diese grosse und zeitgemässe Aufgabe wählte
ich das Motto : „Speculative Resultate nach inductiv-naturwissen-
schaftlicher Methode!* Nicht als ob ich des Glaubens wäre, ein
so umfassender Kopf zu sein, wie zur Lösung dieser Aufgabe
erforderlich ist, oder gar glaubte, in diesem Werke eine ge¬
nügende Lösung geboten zu haben, — das sei ferne von mir;
aber damit glaube ich Dank zu verdienen, dass ich diese auch
schon von anderen Männern erkannte und auf verschiedene Weisen
in Angriff genommene Aufgabe klar als Ziel der gegenwärtigen,
merklich an specuiativer Erschöpfung leidenden Philosophie hin¬
stelle, dass ich in den vorliegenden Untersuchungen zur Lösung
derselben nach Kräften mein Scherflein beitrage, und dadurch
anderen vielleicht erwünschte Anregung gebe, namentlich aber,
indem ich die Sache an einer bisher vernachlässigten Seite an¬
fasse, die ich jedoch grade für die fruchtbarste halten muss *).
Zugleich legt mir die ausgesprochene Auffassung die Pflicht auf
mich vor jedem der beiden Fora, sowohl dem naturwissenschaft¬
lichen als dem philosophischen, zur Beurtheilung zu stellen**). Dies
thue ich aber mit Freuden, denn ich halte jede Speculation für
falsch, die den klaren Ergebnissen der empirischen Forschung
widerspricht, und halte umgekehrt alle Auffassungen und Aus-
*) Die überraschend günstige Aufnahme, welche die beiden ersten
Auflagen dieses Werkes gefunden haben, scheint mir wesentlich auf einer
Anerkennung der Zeitgemässheit dieses Strebens zu beruhen.
**) Hie Kritiken und Einwendungen, welche mir von philosophischer
Seite gemacht worden sind, haben meine Ansichten nicht nur nicht er-
schlittern können, sondern haben wesentlich dazu beigetragen, dieselben in
sich zu stärken und zu befestigen. Die einzige Kritik von naturwissen¬
schaftlicher Seite, welche mir bekannt geworden ist, (von Dr. med. Stiebe-
lmg in New-York) ist nicht nur im Einzelnen vielfach fehlerhaft und im
Granzen unbedeutend, sondern sie zeigt schon dadurch, dass sie nicht auf
der Höhe ihrer Aufgabe steht, dass sie den springenden Punct übersehen
hat. . Wenn nämlich von irgend einer Seite die Nothwendigkeit einer we¬
sentlichen Modification an die „Philosophie des Unbewussten“ herantreten
sollte, so würde dies am ehesten von Seiten der biologischen Descendenz-
theorie der Fall ^ sein können, welche seit der ersten Abfassung meines
Werks (1864 — 1867) eine damals noch gar nicht zu ahnende Tragweite ge¬
wonnen hat, und täglich zu gigantischerer Bedeutung emporwächst. Diese
neue geistige Errungenschaft dem System unserer bisherigen Erkenntnisse
organisch zu assimiliren, wird die wissenchaftliche Hauptaufgabe der näch-
sten Generationen sein, während die Sache bis jetzt zu jung ist, um mit
k icherheit den rechten Mittelweg zwischen Unterschätzung und Ueber-
schätzung zu finden.