Das Unbewusste in den Reflezwirkungen
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Absonderung von Speichel und Hin- und Herbewegen des
schmeckenden Stoffes im Munde , beim Kiecken Erweiterung der
Nasenlöcher und kurze, rasche Inspirationen, beim Hören Span¬
nung des Trommelfelles und Bewegungen der Ohren und des
Kopfes, beim Sehen Stellung beider Augencentra nach der Stelle
des grössten Keizes, Accommodation der Linse zur Entfernung
und der Iris zur Lichtstärke. Alle diese Bewegungen können
auch willkürlich ansgeführt werden, aber nur durch die Vor¬
stellung des veränderten Sinneseindruckes; nur schwer oder gar
nicht durch directe Vorstellung der Bewegungen. Z. B. hält der
untersuchende Augenarzt dem Patienten den Finger dahin, wo¬
hin er sehen soll, denn wenn er ihn das Auge nach rechts oben
wenden heisst, so entstehen häufig die verschrobensten Bewe¬
gungen in den Augen und Lidern, nur die verlangte nicht. An
diesen Reflexbewegungen nimmt bei gesteigerter Lebhaftigkeit
nicht selten der Kopf, die Arme und der ganze Körper unwill¬
kürlich Antheil. Ferner werden durch das Ohr Bewegungen
in den Sprachwerkzeugen reflectirt, denn bekanntlich beruht alles
Sprechenlernen der Kinder und Thiere darauf', dass ein unwill¬
kürlicher Trieb sie nöthigt, das Gehörte zu reproduciren ; das¬
selbe findet statt bei Melodien, wo es sich leichter auch bei Er¬
wachsenen beobachtet; ohne diesen Reflex wäre es unmöglich
Vögel zum Pfeifen von Melodien abzurichten Die reflectorische
Nöthigung zum Aussprechen der gehörten Worte kann man
aber auch an sich selbst beim Denken beobachten. Hier ruft
nämlich, ähnlich wie in erhöhtem Grade bei Entstehung der
Traumbilder und Hallucinationen, zunächst der noch nicht sinn¬
liche Gedanke des Worts einen centrifugalen Innervationsstrom
nach dem Hörnerven hervor , als dessen reflectorische Folge ein
centripetaler Strom die Gehörsempfindung des Wortes zurück¬
bringt, und diese ruft in den Sprachwerkzeugen die Reflexbe¬
wegungen des lauten oder leisen Aussprechens hervor. Der na¬
türliche Mensch, z. B. der ungebildete oder leidenschaftlich er¬
regte, denkt laut, es gehört schon der Zwang der Bildung dazu,
leise zu denken, und selbst hier wird man sich fast immer, wenn
man darauf achtet, über einem Muskelgefühl in den Sprachwerk¬
zeugen ertappen, welches in schwächerem Grade dasselbe ist,
welches durch das Aussprechen der Worte entstehen würde, das
also offenbar den Ansatz zu jener Thätigkeit enthält. Beim
Lesen ist es ganz ähnlich.
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