Beziehungen der Gemütsbewegungen und Gefühle zu Störungen der Sprache. 285
erwachsene Stotterer, die an thymisehen Depressionen durchaus
nicht leiden, ja, die sich geradezu aus ihrem Fehler nichts machen,
und das ist nicht etwa ein absichtliches Unterdrücken oder eine
erzwungene Yeränderung der Stimmung, sondern es ist von Hause
aus in der thymisehen Anlage dieser Personen gelegen. Ich gebe
zu, daß hei Erwachsenen das völlige Fehlen von thymisehen De¬
pressionen beim Stottern relativ selten ist; bei Kindern findet man
das aber oft genug. Es kommt z. B. beim Kinde vor, daß es gerade
dann stottert, wenn es mit Freunden, bekannten Spielkameraden
zusammen ist, während es ausgezeichnet spricht, wenn es sich zu¬
sammennimmt, z. B. zu seinen Lehrern spricht. Für gewöhnlich
ist jedenfalls mit dem Stottern eine Hypothymie verknüpft, die sieh
auch schon beim Kinde manchmal in sehr starkem Maße nach-
weisen läßt. Immerhin ist die psychische Depression, die
Hypothymie, in fast allen Fällen eine Folgeerscheinung des
Übels, sie ist nicht das Primäre. Erst das Bewußtsein: ich
kann nicht so sprechen, wie ich will, ich bin in meinem Sprechen
gehemmt, während andere sprechen können, was sie wollen — oder
gar: ich spreche so, daß die anderen darüber lachen müssen —,
erst dieses Bewußtsein erzeugt den depressiven Affekt, die depressive
Stimmung, und nun tritt ein charakteristisches Merkmal hinzu, durch
welches wir wohl berechtigt sind, in solchen Fällen von thymo-
genen Sprachstörungen zu reden: der entstandene depressive Affekt
erzeugt nicht nur wieder die Sprachstörung, sondern erhöht sie
jedesmal, so daß es sich hier, wie schon gesagt, um eine „Spira
vitiosa“ handelt. Das Primäre ist die Sprachstörung, die einfach
als eine fehlerhafte Koordination aufzufassen ist, welche zu mehr
oder weniger starken Hemmungen des Eedeflusses führt. Sekun¬
där folgt daraus ein mäßiger depressiver Affekt, der seinerseits
neben dem Bewußtsein der Minderwertigkeit der Sprache wieder
die Sprachstörung erhöht. Die nun wieder verstärkte fehlerhafte
Koordination erzeugt einen erhöhten depressiven Affekt, und so
geht es fort, bis schließlich das sprachliche Unvermögen zum völ¬
ligen Verstummen führt. Für dieses Bild gibt es typische Beispiele:
Ich frage ein Kind, wie es heißt, und es antwortet mir: M-M-Max
Schulze. Ich tue so, als ob ich es nicht verstanden habe und lasse
die Antwort wiederholen. Jetzt dauert das Stottern bei dem M weit
länger. Und fordere ich den Knaben zum drittenmal auf, seinen
Namen zu nennen, so kann es Vorkommen, daß er überhaupt nicht
mehr zum Sprechen kommt, sondern daß der Spasmus so stark