Die mythologische Assoziation.
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nung, sondern eine zu dieser hinzutretende Assoziation, die der
Vorstellung ihren Inhalt gibt Auch in diesem Falle pflegt dann die
mythologische Deutung dem wirklichen Vorgang, der sich, wie alle
Assoziationen, mit einer Art mechanischer Notwendigkeit abspielt,
eine reflexionsmäßig entstandene Theorie zu substituieren. Da mit
dem letzten Atemzug das Leben aufhört, so soll der Atem als das
belebende und beseelende »Prinzip« angesehen werden. Das ist in
der Tat eine Theorie, die sich, wie wir vermuten dürfen, schon in
sehr früher Zeit bei den Ärzten und Philosophen, die über Leben
und Beseelung spekulierten, aus den verbreiteten Volksvorstellungen
entwickelt hat. Innerhalb des Kreises dieser Vorstellungen selbst
kann aber von einer solchen Theorie nicht die Rede sein, sondern
an den eintretenden Tod mit seinen Begleiterscheinungen, der Be¬
wegungslosigkeit, dem Erstarren und Erblassen des Körpers, ist un¬
mittelbar durch eine feste Assoziation die des letzten tiefen Atemzugs
gebunden. Wie das Traumbild des Verstorbenen, so ist daher auch
diese Assoziation unmittelbare Wirklichkeit. Der Hauch des Atems
ist ein Bestandteil des lebenden Menschen. Wie dieser Hauch es
anfängt, alle die Erscheinungen hervorzubringen, die in ihrer Ver¬
bindung das seelische Leben ausmachen, darüber gibt sich der
primitive Mensch keinen Reflexionen hin. Der Atem ist für ihn
wirklich die Seele, die er im Moment des Todes aus dem Munde
ausströmen hört und sieht. Daran reihen sich dann aber weiterhin
von selbst vermöge der natürlichen Beziehungen der Vorstellungen
weitere Assoziationsglieder, durch die sich nun die Seelenvorstellung
immer mehr von ihrem Ausgangspunkte entfernen kann. Der
Atem wird als ein dem Mund entweichendes Wölkchen gesehen.
So assoziiert sich der Vorgang der Seelenentweichung mit dem Zug
der Wolken, und indem die Wolke als belebt apperzipiert wird,
assozüert sich diese hinwiederum mit der Vorstellung des fliegenden
Vogels oder nach einer andern Seite mit der am Himmel auf- und
niedersteigenden Sonne. Das Bild des Vogels erweckt dann das
des dahineüenden Schiffes, usw. So entstehen die Mythen vom
Totenvogel, vom Seelenschiff, endlich die mannigfachen Verbin¬
dungen, die der Seelenglaube mit den Sonnenmythen eingeht.
Schon die ungeheure Verbreitung dieser Mythen und ihre minde¬
stens in vielen Fällen völlig unabhängige Entstehung weist auf die