Mima» and Drama.
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schmäht, in die Tiefen der menschlichen Gesellschaft zu steigen und
ihnen sogar mit Vorliebe ihre komischen Figuren entnommen, so
blieben die Träger der Tragödie ausschließlich Heroen oder Helden
oder mindestens Menschen, die auf den Höhen des Lebens standen,
first das 18. Jahrhundert, dieses Jahrhundert der Aufklärung und
des aufstrebenden Bürgertums, hat in der »bürgerlichen Tragödie«
eine Gattung des Dramas geschaffen, die das Tragische der Kon¬
flikte und Leiden des täglichen Lebens zur künstlerischen Dar¬
stellung brachte. Die psychologischen Motive dieses Gegensatzes
sind unschwer zu erkennen. Komische Figuren und Situationen
sind überall zu finden, und im gemeinen Leben treten sie offener
zutage als in der höheren Gesellschaft Auch kann man über
Bauern, Handwerker und Sklaven leichter ungestraft lachen als über
Machthaber und Vornehme. Dagegen hatte noch Voltaire die Er¬
hebung des gewöhnlichen Menschen in die Sphäre des Tragischen
eine Herabwürdigung des Kothurns genannt. In der bürgerlichen
Tragödie errang sich der »dritte Stand« auf künstlerischem Gebiet
die Rechte, die ihm die Revolution auf dem politischen, und die
ihm zuvor schon die Philosophie auf dem der geistigen Bildung
verschafft hatte. Zuerst nur schüchtern als eine Ergänzung der
Tragödie hohen Stils zugelassen, eroberte sich das bürgerliche
Drama im Laufe des 19. Jahrhunderts in dem Maße die Vor¬
herrschaft, als die psychologische Vertiefung in die tragischen
Probleme eine intimere Nähe der Gegenstände verlangte, und als
die tragischen Konflikte, die das allgemeine Interesse beschäftigten,
mehr und mehr selbst dem Leben der bürgerlichen Gesellschaft
angehörten. Darum kann man sich nicht wundem, daß die Alten
zwar eine bürgerliche Komödie, aber keine bürgerliche Tragödie
besaßen. Sie konnten sie nicht besitzen, weil der antiken Ge¬
sellschaft die Bedingungen dazu mangelten. Der dritte Stand in
der modernen Bedeutung des Wortes ist erst das Erzeugnis der
modernen Kultur, die in ihrem unaufhaltsamen Fortschritt dem
Kampf des dritten den des inerten Standes und damit dem bürger-
lieben "rauerspiel auch noch die Arbeitertragödie folgen ließ. So
erscheint die Erweiterung des Tragischen zum allgemein
Menschlichen als das Ziel dieser Entwicklung. Bei den Göttern
und Heroen hat die Tragödie begonnen, zu den Großen und