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Die Phantasie in der Kunst.
Bedeutung festzustellen sind. Auf den einen, auf das unmittelbare
Hervorwachsen der Komik aus dem nach seinem Grundcharakter
tragischen Stoff, wurde oben schon hingewiesen. Diese Unter¬
brechung der tragischen Spannung durch komische Einschaltungen
ist der modernen Tragödie eigen geblieben, wo immer sie nicht
etwa durch das Vorbild der Antike von diesem ihr durch das kirch¬
liche Schauspiel frühe schon angewiesenen Weg abgedrängt wurde.
An diesem Merkmal läßt sich daher auch einigermaßen die Größe
des Einflusses bemessen, den jenes Vorbild im Verhältnis zu sonstigen
Einwirkungen ausgeübt hat. Der Kontrast der klassischen Tragödie
der Franzosen und ihrer Ergänzung durch das Molièresche Lust¬
spiel mit dem Drama Shakespeares und seiner englischen Vorläufer
ist für dieses Verhältnis bezeichnend. Dort eine in die vornehme
Gesellschaft des absoluten Königtums übertragene Nachahmung der
heroischen Tragödie und der Charakter- und Intrigenkomödie alten
Stils, hier ein bunter Zusammenfluß alter und neuer Elemente, neben
den Reminiszenzen an die römische Tragödie und Komödie die
Rückwirkungen des kirchlichen Schauspiels in seinen späteren, der
freien Komposition einen weiteren Spielraum bietenden Beispielen,
außerdem die reiche Märchen- und Novellenliteratur der Renaissance,
und endlich wohl nicht an letzter Stelle jener nie unterbrochene
Strom wandernder Mimen, die in neuer wie alter Zeit dem schau¬
lustigen Publikum auf Messen und Märkten burleske Szenen aus
dem Leben, Geschichten von Mordtaten und andern schrecklichen
Ereignissen vorfiihrten, und aus denen die Wanderkomödie mit
ihrem Ableger, dem Puppenspiel, hervorging. Das moderne Drama,
soweit es nicht in die Bahnen der antikisierenden Tragödie und
Komödie zurücklenkt, ist der nächste Rechtenachfolger dieses
wandernden Spiels, auf das es selbst wieder durch die Überlieferung
seiner Stoffe zurückgewirkt hat, wie sich denn auch die Wander¬
bühne und die soziale Stellung der fahrenden Leute noch lange
Zeit auf das moderne Schauspiel vererbt haben. Dieser vielseitige
Ursprung und nicht zum wenigsten die nahe Beziehung zu der von
dem Zwang aller Regeln freien mimischen Kunst hat dem modernen
Drama seine originale Bedeutung gegeben. Nur in einer Beziehung
hat es die Schranken nicht überschritten, die ihm in der Antike ge¬
zogen waren. Hatte die Komödie schon in alter Zeit es nicht ver-