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Die Phantasie in der Kunst.
Diese Feste und die sie begleitenden mimischen Tänze kehren
überall auf Erden wieder, und sie bleiben, wenn auch unter mannig¬
fachen Verkleidungen und Verschiebungen, noch auf höheren Kultur¬
stufen erhalten. Doch treten nun, in dem Maße, als sich neue wich¬
tige Lebensgebiete erschließen, weitere Festanlässe hinzu, die bald
ähnliche, bald nach den einzelnen Gelegenheiten verschiedene Tänze
mit sich führen. So fordern besondere Lokal- und Berufsgötter
sowie die Stammesheroen ihre besonderen Feste, oder indem wan¬
dernde Stämme sich mischen, bringt jeder Teil seine Götter und
Heroen mit, die jetzt gemeinsam gefeiert werden. Auf diese Weise
ist der höhere religiöse Kultus die Quelle einer zunehmenden Zahl
von Festen, die ebensoviele Gelegenheiten zu festlichen Aufzügen
und Tänzen bieten. Schon für die älteste Zeit zählt so der römische
Festkalender mindestens 50 Festtage*), und in der Kaiserzeit, als
Götter aller Nationen ihren Einzug in Rom gehalten hatten, wird
schwerlich ein Tag vorübergegangen sein, an dem nicht mehrere
von Tanz und Spiel begleitete Feste gefeiert worden wären. Doch
je weiter sich hierbei die Tänze von den uns erreichbaren Ursprungs¬
punkten entfernen, um so mehr verlieren sie auch ihre einstige
Bedeutung , so daß sie schließlich nur noch als ein allgemeiner in¬
differenter Ausdruck der Festfreude erscheinen. Zu den Quellen
des mimischen Tanzes können uns daher nur noch jene allgemeiner
verbreiteten, bei Völkern aller Kulturstufen wiederkehrenden Formen
desselben zurückleiten, die in ihren Bedingungen wie in ihren Er¬
scheinungen bei aller Verschiedenheit im einzelnen eine gewisse
allgemeine Gesetzmäßigkeit erkennen lassen. Dahin gehören vor
allem die zwei wichtigen Gruppen der Saat- und Erntetänze und
der Kriegs- und Jagdtänze.
d. Masken als Attribute mimischer Tänze.
Allen diesen Tänzen ist, abgesehen von dem überall bei primi¬
tiven Völkern in auffallenden Farben, mit Feder- und anderm
Schmuck ausgestatteten Festgewand, als ein besonders häufiger
Brauch die Anlegung von Masken eigen. Zwar kann die Maske
zuweilen auch bei andern Gelegenheiten getragen werden, z. B. bei
x) Wissowa, Religion und Kultus der Römer, S. 18.