Die Entwicklung der Idealknnst.
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Säulenhalle umzieht den Bau, so daß das Dach nicht, wie bei
dem einfachen Wohnbau, schwer auf den Grundmauern des Hauses
ruht, sondern von den durch ihre Zahl wie Gestalt die Vorstellung
der emporstrebenden Kraft energisch anregenden Säulen schwebend
getragen wird. Das zweite Motiv besteht in dem freien Einblick
in das Innere des Tempels, in das durch die unter der Giebelfront
liegende Tempelpforte das Licht auf das im Hintergrund stehende
Götterbild fallt, während das von Säulen getragene Giebelfeld zu¬
gleich einen Raum bietet, der zur Ausschmückung mit plastischem
Relief herausfordert. So repräsentiert der griechische Tempel in
dieser folgerichtigen Erweiterung des Giebelbaues der menschlichen
Wohnung zum Gotteshaus in ästhetisch wirksamster Weise die Idee,
daß das Haus Gottes ein Ebenbild des Weltbaues, und die andere,
daß es eine Schutzstätte sei, an der der Verfolgte und selbst der
Schuldige Rettung findet. Denn den Schutzbedürftigen ruft hier
der sichtbare Gott selbst an die Stufen seines Altars.
In der römischen Kultur der Kaiserzeit, in der Götter aller Na¬
tionen in den Zentren des Weltreichs zusammentrafen, in der in
dem berühmten Pantheon Agrippas und Hadrians ein allen diesen
Göttern geweihter Tempel erstand, da mußten auch die Stilformen
Zusammenstößen, in denen sich die Ideen, die dieses Völkergewühl
bewegten, verkörpert hatten. Wenn sich nun in der Mischung
griechischer, orientalischer und alter Reste italischer Stile als eine
in der römischen Welt mehr und mehr zur Herrschaft gelangende
Architekturform der Rundbogen und seine räumliche Fortbildung,
das Kuppelgewölbe, durchgesetzt hat, so darf man dies zwar nicht
als ein originales Erzeugnis römischer Kunst, wohl aber als diejenige
Form ansehen, die dem römischen Geiste vor andern adäquat war.
Doch allem Anscheine nach sind es auch hier zunächst praktische
Motive gewesen, die dem Rundbogen und Bogengewölbe diesen
Vorzug verschafften. Für die gewaltigen Brückenbauten, Viadukte
und Wasserleitungen boten sich aus statischen Gründen unter allen
zur Verfügung stehenden Formen die Steinpfeiler und steinernen
Bogen als die sichersten und dauerndsten. Das Motiv, an diesen
Nutzbauten erprobt, wurde nun, unter Anlehnung an die aus alter
Zeit überlieferte Rundform des Tores, auf den Triumphbogen und
die Ehrenpforte übertragen, um endlich in der Form von Kuppeln,