Die Phantasie in der Konst.
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lung. Er gehört der Vergangenheit an. Seine Formen, vor allem
die Bemalung und Tätowierung, sind spezifische Formen primitiver
Kunst. Auch das hängt aber wieder damit zusammen, daß diese
Kunst des eigenen Körperschmucks vielleicht mehr als irgendeine
andere in der Weltanschauung des Naturmenschen ihre Wurzeln
hat. Dies zeigt sich vor allem an den beiden Formen der Täto¬
wierung. Jede von ihnen repräsentiert die ursprüngliche Tendenz
dieser kosmetischen Kunst von einer andern Seite aus. Beide
stimmen aber darin zusammen, daß die Tätowierungszeichen Schutz-
und Schmuckmittel zugleich sind. Als Schutzmittel sollen sie den
Naturmenschen nicht, wie die Kleidung, vor den Unbilden des
Wetters, sondern sie sollen ihn vor den Dämonen und dem Zauber
böswilliger Feinde schützen. Amulett und Talisman sind, wie wir
später sehen werden, die steten Begleiter einer primitiven Kultur.
Denn sie sind von dem Zauberglauben, von dem diese erfüllt ist,
ebenso unzertrennlich wie die Waffe und der Schild von dem blu¬
tigen Kampfe; und in Wahrheit spielt dieser stille Kampf gegen
den Zauber, der den Naturmenschen in Krankheit, Tod und sonstigem
Mißgeschick überall umgibt, eine nicht geringere Rolle in seinem
Leben wie der Kampf mit feindlichen Stämmen. Die Zeichen der
Bemalung und Tätowierung besitzen aber durchaus die Bedeutung
der Amulette und Talismane, und ihr Wert besteht ursprünglich
wohl nicht zum kleinsten Teile darin, daß sie den Menschen immer
begleiten und ihm durch keine äußere Gewalt entrissen werden
können. Die beiden Formen der Tätowierung entsprechen hier
zugleich den beiderlei Hilfsmitteln, über die der primitive Mensch
verfügt, um in Zauber und Gegenzauber den Mächten zu begegnen,
von denen er sich gefährdet glaubt. Bei der symbolisierenden
Tätowierung stellt er sich unter den Schutz der Geister und Dämonen,
deren symbolische Zeichen er an seinem Leibe trägt. Bei der mar¬
kierenden sucht er durch die Macht seiner eigenen Seele nach
außen zu wirken, nicht anders, als wie auch andere Betätigungen
des Ausdrucks, z. B. der Blick oder die drohende Miene des Ange¬
sichts, da sie das Gefühl der Furcht erregen, nach dem Glauben
des Naturmenschen unmittelbar furchtbare Zauberwirkungen hervor¬
bringen. Die markierenden Linien des Angesichts wollen nur diese
natürliche Macht der Mimik verstärken und dauernd ihrem Träger