Definitionen der Phantasie.
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neue Einschläge aufnehmen und sich schließlich mit Gebilden ver¬
wandter oder selbst ganz heterogener Art verbinden. Kein Wunder
daher, daß man sich nicht selten mit einer nach oberflächlichen
Merkmalen hergestellten logischen Ordnung der letzten Ergebnisse
der Phantasietätigkeit zufriedengibt.
Nun ist es gewiß richtig, daß aus keiner Quelle voraussichtlich
reichere Erkenntnisse über das Walten der Phantasie in ihrer natür¬
lichen und allgemein menschlichen Gesetzmäßigkeit zu schöpfen
sind, als aus der Völkerpsychologie, und daß hier wieder Mythen¬
bildung und Religion allen andern Erscheinungen voranstehen. Aber
diese Tatsachen des Völkerlebens sind doch überall schon sehr
komplexe Resultanten, die, solange man sich gegenüber der Frage
nach der psychologischen Natur der Phantasietätigkeit mit ab¬
strakten Allgemeinbegriffen behilft, schließlich nur Probleme auf¬
geben, nicht solche lösen können. Dazu vermöchten sie erst bei¬
zutragen, wenn die Phantasie selbst in ihrer Wirksamkeit innerhalb
des individuellen Bewußtseins zureichend erforscht wäre. Darum
bleibt die elementare Analyse der Phantasietätigkeit eine Aufgabe
der experimentellen Psychologie, die mit ihren Hilfsmitteln hier
wie überall an das individuelle Bewußtsein gebunden ist. Hat sie
diese Aufgabe erledigt, so muß sie aber dann allerdings deren
Wetterführung der Völkerpsychologie anheimgeben, die nun ihrer¬
seits allein imstande sein wird, ein alle Stufen des Bewußtseins um¬
fassendes Bild der Phantasie und ihrer Entwicklungsgesetze zu ent¬
werfen. Auch hier trifft wieder die Analogie mit dem Verhältnis
zwischen Ausdrucksbewegung und Sprache vollkommen zu. Wir
würden die Grundmotive der Sprache ohne die psychologische
Analyse der Ausdrucksbewegungen und ihrer individuellen Motive
nicht verstehen lernen. Über die allgemeinen Formen und Gesetze
des Ausdrucks geistiger Vorgänge gibt uns aber doch nur die Sprache
selbst zureichenden Aufschluß.
2. Definitionen der Phantasie.
Was ist nun die Phantasie? Was geht in uns vor, wenn wir
von einer » Phantasietätigkeit « sprechen? Und worin unterscheidet
sich diese von irgendwelchen andern seelischen Erlebnissen? Diese