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Die Phantasie in der Kunst
den Ausdruck der Ruhe gewinnt. Darum bleibt die Plastik fortan
gebunden an die Architektur; oder wo sie aus dieser heraustritt, da
fordert sie mindestens einen architektonischen Unterbau und Hinter¬
grund oder, wo ein solcher mangelt, eine Naturumgebung, die das
Kunstwerk architektonisch umschließt.
Hier scheidet sich nun von frühe an die Malerei. Wie das leich¬
ter zu handhabende Material williger der Phantasie folgt, um die
einzelnen Züge in einer treu die lebendige Wirklichkeit wiedergeben¬
den Farbe und Beleuchtung festzuhalten, so setzt es auch der Kom¬
bination mannigfacher Gestalten untereinander und mit den Objekten
der umgebenden Welt keinen Widerstand entgegen. So wird die
Malerei, obgleich und zugleich weil sie der unmittelbaren körper¬
lichen Wirklichkeit entbehrt, die freieste der Künste, und sie bewährt
dies auch weiterhin in ihren verschiedenen Verzweigungen. Auf
der einen Seite gewinnt sie in der Porträtkunst, in der Tiermalerei,
in Genrebild und Stilleben eine Reihe von Ausdrucksmitteln für das
Charakteristische, wobei sich zugleich in dem Objekt eine be¬
stimmte seelische Stimmung verkörpert. Auf der andern Seite wird
sie in der Landschaftsmalerei zum direkten Ausdruck der Gefühle,
indem sie die Natur in der Mannigfaltigkeit ihrer Gestaltungen
wiedergibt, eben deshalb aber von der Nachbildung des einzelnen
sich entfernt, um schließlich nur noch jene subjektive Stimmung
selbst in einer ihr adäquaten Naturumgebung zu spiegeln. Daneben
vermag sie sich aber vermöge der unendlichen Beweglichkeit ihrer
Kunstmittel nach einer andern Richtung, in dem allegorischen und
dem historischen Gemälde, wiederum den Grenzen der monumen¬
talen Plastik zu nähern, wobei sie dann in dem größeren Reichtum
ihrer Mittel Ersatz sucht für das, was ihr an den imposanten Wir¬
kungen der eigentlichen Monumentalkünste, Architektur und Plastik,
mangelt.
Eine ähnliche Mittelstellung nehmen endlich vermöge der äuße¬
ren Bedingungen, unter denen sie arbeiten, die zeichnenden
Künste ein. Bei ihnen hebt das Fehlen der Farbe den Eindruck
der reinen Form als solcher, während vor allem die durch die
Feinheit ihrer Mittel wieder vor den andern hervorragende Radier¬
kunst gleichwohl den ganzen Reichtum malerischer Motive hinzu¬
bringt. Charakteristisch für diese Eigenart bleibt es daher, daß