Volltext: Erkenntnislehre II (2)

7. Notwendigkeit alles Geschehens 
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sammengesetzte Wirkungen versteht man aus den unmittelbaren, 
also einfachen, wie z. B. die Zeigerbewegung eines Uhrwerkes aus 
den Bewegungen seiner Teile, wenn man die Art ihrer Zusammen¬ 
setzung und die Gesetze ihrer Bewegungen kennt. Die Frage be¬ 
zieht sich also nur auf die letzten, einfachsten, völlig unmittelbaren 
Zusammenhänge. 
Die beiden eben genannten Denker und noch viele andere, 
denen ein absolutes Wissen am Herzen lag, glaubten darauf unter 
gewissen Voraussetzungen eine bejahende Antwort geben zu 
können, Spinoza im Hinblick auf die intuitive Erkenntnisweise, 
aus der idealen göttlichen Erkenntnis heraus, Leibniz im Hinblick 
auf zukünftige Entwicklungsstufen der menschlichen Erkenntnis, 
da er meinte, daß es einmal gelingen würde, die allgemeinsten Sätze 
der Physik a priori zu erweisen. Aber die allgemeinsten Formeln, 
zu denen die Physik bis heute vorzudringen vermochte, wie der 
Satz der kleinsten Wirkung, der selbst das Gesetz der Erhaltung 
der Energie ein schließt, sind keineswegs selbstverständlich. Mit 
den Prätentionen der mystisch-spekulativen Systeme denken wir 
uns hier nicht auseinanderzusetzen ; keines hat noch die hohen Ver¬ 
sprechungen, mit denen sie auf traten, erfüllt. In Hinsicht der 
innersten treibenden Kräfte des Weltprozesses kann die Erkenntnis¬ 
theorie auch heute nur sagen: „Ignoramus“, ja: „Ignorabimus“. 
Dieses Eingeständnis ändert aber nichts an dem Stolz, mit dem wir 
das von Generationen großer Entdecker Erreichte überblicken, und 
an der zuversichtlichen Hoffnung, mit der wir weiteren Fort¬ 
schritten in dem unendlichen Gebiet des Erfahrungswissens und 
seiner praktischen Anwendungen entgegensehen. Daß das Er¬ 
fahrungswissen minderwertig sei gegenüber den Aussagen der 
reinen Vernunft, ist ja ohnehin ein großes Vorurteil, das sich als 
Erbstück eines vergangenen Stadiums der Philosophie bei Vielen 
noch erhalten hat. Beide Wege des Denkens sind gleich unent¬ 
behrlich. 
Nachdem wir gegenüber einem extremen Empirismus gezeigt 
haben, daß alle Erfahrung apriorische Grundlagen voraussetzt, soll 
dieser Lobpreis der empirischen Forschung das Komplement dazu 
bilden.
	        
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