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29. Kausalität in der unorganischen Natur
setze müssen auf statistische, sondern umgekehrt diese auf jene
zurückgeführt, aus ihnen ,,erklärt“ werden, wie dies bereits Boltz¬
mann für den Entropiesatz geleistet hat. Die Wechselwirkung
zwischen den kleinsten Teilchen der Materie, auf der das Gesamt¬
verhalten größerer Mengen beruht, kann (vorausgesetzt, daß wir
wirklich bei den kleinsten angelangt sind) nicht wieder aus Massen-
erscheinungen erklärt werden. Es kann wohl Vorkommen und ist
im Gebiete der sozialen Statistik ganz gewöhnlich der Fall, daß die
elementaren Ursachen der empirisch gefundenen statistischen
Regelmäßigkeiten lange verborgen bleiben, aber zuletzt müssen sie
doch in den dynamischen Gesetzlichkeiten der Teile gesucht werden.
Mit Recht sagt daher Planck bei dieser Gelegenheit: „Ebenso¬
wenig wir irgendeine andere Wissenschaft der Natur oder des
menschlichen Geistes kann die Physik der Voraussetzung einer
absoluten Gesetzmäßigkeit entbehren; ja gerade den Schlu߬
folgerungen der Statistik . . . wäre ohne sie die wesentlichste Grund¬
lage entzogen.“
Als ein Beispiel aus angrenzenden Wissenschaftsgebieten' für
das Bestreben, statistische Regelmäßigkeiten aus dynamischen her¬
zuleiten, nennt Planck die meteorologischen Theorien von Bjerknes.
Man wird jetzt auch auf die Versuche der modernen Biologie ver¬
weisen können, die empirischen Vererbungsgesetze rationell aus den
Vorgängen bei der Befruchtung und Entwicklung, aus der Anzahl
der Chromosomen und Genen und den Gesetzen ihrer Verbindung
zu begreifen. Auch das Verhältnis der Knaben- und Mädchen¬
geburten, das in seiner merkwürdigen Konstanz einen besonders
ausgeprägten gesetzlichen Charakter trägt, muß doch in Elementar¬
verhältnissen der geschlechtsbestimmenden Faktoren, also dyna¬
mischen Gesetzen, wurzeln. Kein Biologe wird heute auf ein solches
Begreifen verzichten wollen.
Mit dieser Auffassung, die in den statistischen und approxi¬
mativen Gesetzen, ohne ihren selbständigen hohen Wert zu be¬
streiten, doch nur Wegweiser zu dynamischen und strengen Kausal¬
gesetzen erblickt, konnte man sich vorläufig zufrieden geben.
Aber noch in unserer Zeit — als sollte jedes Jahrhundert eine
neue Sturmflut gegen den Felsen des allgemeinen Kausalgesetzes
heranwälzen — ist ein dritter Angriff dagegen erfolgt, der vielen
unüberwindlich erscheint: die Aufstellung der Ungenauigkeits-
(Unsicherheits-)relation durch Heisenberg. Sie besagt, daß
es unmöglich ist, gleichzeitig die Lage (Bahn) eines fliegenden