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§ 27. Die Zeit
Erst hier stellen sich der Berechnung die schon berührten und
später (§ 28) näher zu besprechenden Schwierigkeiten entgegen.
Zunächst sollte nur betont werden, daß das Problem der Gleich¬
zeitigkeit nicht irgendeine allgemeine, in seiner Natur liegende
Problematik einschließt und daß demnach auch nichts entgegen¬
steht, dieses Merkmal der Gleichzeitigkeit in die Definition des
„Gegenwärtigen“ aufzunehmen. Nur im einzelnen Fall, unter be¬
sonderen Bedingungen der Wahrnehmung, entstehen Fragen, die
erst mit Hilfe der neueren physikalischen Betrachtungsweisen zu
erledigen sind. Für die Physik freilich stehen gerade diese Fälle
im Vordergrund; der Erkenntnistheoretiker aber muß seine Kreise
weiter ziehen.
5. Zeitlichkeit und Wirklichkeit
Wie bezüglich des Raumes, so muß auch bezüglich der Zeit
daran erinnert werden, daß nicht die Zeit für sich, sondern nur
das Zeitliche, das im erläuterten Sinne zeitlich Bestimmte,
wirklich sein kann. Aber hier tauchen zwei neuerdings mehrfach
besprochene Fragen auf:
a. Muß alles Wirkliche zeitlich bestimmt sein oder ist auch
Zeitloses denkbar ?
b. Ist nur das im absoluten Sinne Gegenwärtige wirklich oder
auch das absolut Vergangene und Zukünftige ?
a. Kann etwas zeitlos existieren?
Hat man nur das Wirkliche im gewöhnlichen empirischen
Sinn im Auge, so ist leicht zu beweisen, daß Unzeitliches nicht
wirklich sein kann. Denn wirklich heißt nach unserer Definition
wirkungsfähig. Wirken ist aber an die Zeit gebunden, es muß in
einem bestimmten Zeitpunkt beginnen und endigen, also zeitliche
Lokalisation und Dauer besitzen (Näheres in § 29, 7—9). Es steht
denn auch außer allem Zweifel, daß die Zeitdimension zu jeder
Beschreibung und Erklärung des Wirklichen unentbehrlich ist ; und
dies leuchtet nicht bloß empirisch, sondern in der obigen Weise
a priori ein. Auch die Natur und Beschaffenheit jedes Dinges und
Vorganges, jeder konkreten Situation in Natur und Geschichte ist
durchaus abhängig von ihrer Lage und Ausdehnung auf der objek¬
tiven Zeitlinie und nur im Zusammenhänge mit ihrer zeitlichen
Umgebung denkbar1.
1 Oft hört man Fragen wie diese: „Wenn Kant hundert Jahre später