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§ 26. Der Raum
c. Die allgemeine Relativitätstheorie rechnet mit einem
sphärischen Raum
Wir meinten soeben vor allem die ,,allgemeine Relativitäts¬
theories£ Albert Einsteins (1915). Die Einfügung des Be¬
griffes der Raumkrümmung in diese Theorie bildet eines der
auffallendsten Beispiele dafür, wie eine zunächst rein spekulative
Idee .nach Jahrzehnten reale Bedeutung gewinnen kann. Einstein
sah sich dazu geführt, als er die Betrachtungsweisen der „spe¬
ziellen Relativitätstheorie“ (s. unten § 28), die zunächst nur für
gleichförmige Bewegungen galten, auch auf beschleunigte Be¬
wegungen, wie die durch die Gravitation herbeigeführten, anzu¬
wenden versuchte. Er fand es dazu nötig oder wenigstens nütz¬
lich, die Hypothese des euklidischen mit der eines sphärischen
Raumes zu vertauschen, in welchem zu den Maßbestimmungen
statt der geradlinigen cartesischen Koordinaten Gaußische (be¬
liebig krummlinige) und zur Definition des Abstandes zweier
Punkte voneinander statt des pythagoreischen Lehrsatzes eine
Verallgemeinerung dieses Satzes benutzt wird. Einstein gelangt
so auch zu einer Verallgemeinerung des Gravitationsgesetzes,
welche die Newtonsehe Formel als besonderen Fall in sich
enthält1.
Durch diese überaus kühne Konzeption ist es ihm gelungen,
nicht bloß einen von dem alten Gravitationsgesetz unerklärten
Rest in den Störungserscheinungen der Planetenbewegungen, die
Perihelbewegung des Merkur, in genauer Übereinstimmung mit
den Beobachtungen zu berechnen, sondern auch Verallgemeine¬
rungen von höchstem Erklärungswert in die Physik einzuführen.
Dahin gehört vor allem die Erklärung des genauen Zusammen-
fallens der trägen und der schweren Masse, d. h. der Werte
für die Masse eines Körpers, wie sie sich aus dem Widerstand
gegen eine beschleunigende Kraft und wie sie sich aus ihrem
Gewicht ergibt. Daß diese beiden Werte genau und durchgängig
übereinstimmen, ist experimentell festgestellt, war aber bis dahin
ein unbegriffenes Kuriosum, ja man empfand nicht einmal immer
das Merkwürdige dieses Zusammenfallens und das Bedürfnis nach
1 Für diesen Teil meiner Ausführungen muß ich mich auf sekundäre
Quellen stützen, insbesondere auf Borns oben zitiertes Werk und auf
Einsteins eigenes Schriftchen „Über die spezielle und die allgemeine
Relativitätstheorie ‘ ‘.