2. Der Raum der klassischen Physik
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sehen den letzten Teilchen über die in der räumlichen Anschauung
gegebenen Relationen hinauszugehen, wenn die Tatsachen der
Wahrnehmung dazu drängen. Solche, dem Anschauungsraum
fremde, Relationen könnten anderen Sinnesgebieten, z. B. dem
Tongebiet (Verschmelzungserscheinungen) oder der Sphäre der
psychischen Funktionen (einseitige Abtrennbarkeit nach Bren¬
tano), ja der sozialen Sphäre (wie in Russells Verhältnislehre),
entnommen werden ; sie könnten im Notfälle sogar durch Definition
geschaffen werden. Damit würde sich das, was wir physikalisch
als Raum bezeichnen, noch weiter von dem Anschauungsraum
entfernen und ein spätes Endprodukt oder Ziel wissenschaftlicher
Reflexion werden. Die Physik hat darin freie Hand und ist denn
auch tatsächlich ebenso wie die Mathematik, und in Verbindung
mit ihr, immer abstrakter geworden. Wenn auch Wege wie die
eben angedeuteten ihr ferne liegen, weil sie nicht unmittelbar
zu mathematischen Ansätzen und zu Größenbestimmungen führen,
so werden wir doch alsbald nicht weniger anschauungsfremde
Richtungen kennenlernen, die sich gerade in mathematischer
Hinsicht fruchtbar erwiesen haben. Hier sollte nur betont werden,
wie viele Möglichkeiten der Ausgestaltung die Grundhypothese
der Außenwelt offen läßt.
c. Verhältnis zum Tastraum
Was im vorstehenden vom Verhältnis des objektiven Raumes
zum optischen Anschauungsraume gesagt ist, gilt in analoger
Weise, nur im einzelnen mehr oder weniger modifiziert, auch
von seinem Verhältnis zum Tastraum. Auch dieser ist nur in
unlösbarer Verbindung mit Tastqualitäten wahrnehmbar und vor¬
stellbar, auch er ist ungleichförmig und endlich. Auch er ist
dreidimensional; ja es scheinen die kinästhetischen oder Muskel¬
empfindungen, die ihrer Qualität nach mit den Berührungs¬
empfindungen zusammen zum Tastsinn gerechnet werden müssen,
sogar die einzigen zu sein, die uns außer den Relief unter schieden
auch solche der Dicke, der massiven Körperlichkeit vermitteln.
Wenn der Sehende den gesehenen Objekten (,,Sehdingen“) diese
Eigenschaften zuschreibt, dürfte es sich um eine Übertragung
von den Muskelempfindungen her handeln, wie denn überhaupt die
beiden Sinne sich in dem Bilde der Außenwelt vielfach ergänzen.
Daß aber der Tastsinn auch für sich allein schon vollwertige Raum¬
vorsteilungen vermittelt, geht aus der Tatsache hervor, daß der