508 § 23. Hauptsätze der mathematischen Wahrscheinlichkeitslehre
von Zahlen in der Gegend einer Billion an der 5. Dezimalstelle 10mal nach¬
einander eine 0, dann wieder 10mal nacheinander eine 1 haben. Noch höher
hinauf müssen Iterationen zu 1000 und so weiter einander ablösen.
Hier sind also Folgerungen aus dem Bernoullischen Satze zu Voraus¬
sagungen über Iterationen nicht anwendbar. Aber es ist ja auch die Be¬
dingung der zufälligen, regellosen Aufeinanderfolge der Ereignisse nicht er¬
füllt, unter welcher allein aus einer W im Sinne der klassischen Definition
auf die Bernoullische Anordnung einer Reihe geschlossen werden kann. Die
Reihe der Quadratwurzeln mit allen ihren Dezimalen ist mit Notwendigkeit
vorausbestimmt durch die Bedingung x = j a, a = 1, 2, 3 . . . in inf. Ein
solches durchgehendes, die Aufeinanderfolge bestimmendes Gesetz wider¬
spricht, ebenso wie ein durchgängiger konkreter Faktor, den Voraussetzungen
des Bernoullischen Satzes.
v. Mises verwendet das vorstehende Beispiel im Zusammenhänge seiner
Ausführungen gegen die klassische W-Definition und für einen bloß empi¬
rischen W-Begriff. Es fügt sich aber durchaus der klassischen Definition,
wenn man die obigen Bedingungen im Auge behält.
y. Die statistische Kompensation
Ein drittes Problem, allerdings nur ein Scheinproblem, ist
das der statistischen Kompensation1. Bei Ereignisreihen,
die wir als zufällige Abläufe betrachten, ist es dem gewöhnlichen
Denken natürlich, zu erwarten, daß ein merkliches Übergewicht
einer Klasse von Fällen über ihre apriorische W (welches nicht bloß
durch längere Iterationen, sondern auch durch eine unerwartete
Zahl kurzer, an sich unauffälliger Iterationen entstehen kann) bei
1 Wir sagen nicht : „des statistischen Ausgleichs“, weil Marbe, der
das größte Gewicht auf das von ihm so bezeichnete Verhalten legt, diesem
Ausdruck eine logisch nicht unbedenkliche Definition gibt und überdies dabei
eine allgemeinere Tatsache im Auge zu haben scheint. Er versteht nämlich
darunter (I, 259 und II, 15) „die Ansicht, daß alle statistischen Massen, in
denen sich in gewissen großen Fraktionen ein Ausgleich der variablen Be¬
dingungen zeigt, auch in anderen großen Fraktionen annähernd denselben
Ausgleich aufweisen, falls die konstanten Bedingungen gleichbleiben“.
Hier wird, soviel ich sehe, der Ausgleich durch die Konstanz des Ausgleichs
definiert, was doch imleugbar auf einen Zirkel hinausläuft. Marbe scheint
denn auch unter dem „Ausgleich der variablen Bedingungen“ nichts anderes
zu verstehen, als jenes Verhalten der unberechenbaren „kleinen Ursachen“,
welches die Anwendung des Bernoullischen Gesetzes auf die Wirklichkeit
ermöglicht, indem sie sich sozusagen die Waage halten und so die Ausprägung
der apriorischen Wahrscheinlichkeiten in den HäufigkeitsVerhältnissen er¬
möglichen (o. S. 447). Die Konstanz dieses Ausgleichs aber ist dann nichts
anderes als was die Statistiker die Stabilität einer statistischen Masse nennen.
Was wir dagegen im Text betrachten, ist nur der vermeintliche Einfluß
früherer auf spätere Fälle bei fortgesetzten Beobachtungen.