2. Der Bernoullische Satz (Gesetz der großen Zahlen) 489
Welt denkbar, in der kein Ereignis sich auch nur annähernd wieder¬
holte und keine Art von Gegenständen in mehreren annähernd
gleichen Exemplaren vorhanden wäre. Darin wäre für Anwen¬
dungen der W-Rechnung wie für die Forschung überhaupt kein
Platz und kein Angriffspunkt. Aber auch eine Welt wäre denkbar,
in der überall und allezeit absolut genaue Wiederholungen vor¬
kämen, jeder Tag dem anderen genau gliche usw. Wenn außerdem
alle Veränderungen sprunghaft und in hinreichend großen Stufen
erfolgten, und wenn es auch keine Beobachtungsfehler gäbe, sondern
unsere Instrumente, unsere Sinne und unsere Aufmerksamkeit
scharf genug wären, um jede Möglichkeit einer Täuschung auszu¬
schließen, so könnte es nach unserer Auffassung allerdings auch in
dieser Welt Vorkommen, daß uns einmal 6 Möglichkeiten vor¬
schwebten, von denen keine mehr für sich hätte als eine andere, und
wir könnten Voraussagungen auf Grund des Gesetzes der großen
Zahlen machen. Aber ihr Zutreffen wäre auch dann noch an die
besonderen Bedingungen dieses Gesetzes geknüpft, d. h. an die
Existenz rein zufälliger, von allen konstanten Faktoren unab¬
hängiger Ereignisreihen.
Tatsächlich entspricht die Welt keiner dieser beiden Struktur¬
formen. Es finden fortwährend Wiederholungen und Gleichheiten
existierender Gegenstände oder Tatbestände statt, aber immer nur
angenäherte. Selbst der Lauf der Planeten unterliegt säkularen
Schwankungen, von den der Statistik unterliegenden biologischen
und sozialen Vorgängen gar nicht zu reden. Und unsere Beobach¬
tungen mögen wir so genau anstellen, als es nur immer mit allen
technischen Hilfsmitteln, aller Aufmerksamkeit und Übung möglich
ist: auch die beste Beobachtungsreihe unterliegt kleinen Schwan¬
kungen. Ebenso mögen die Fabrikprodukte, die von ausgezeich¬
neten Maschinen ohne Menschenkräfte hergestellten Gegenstände,
noch so gleichförmig ausfallen, so daß das schärfste Auge keinen
Unterschied mehr entdecken kann: das Mikroskop zeigt auch hier
Unterschiede, und wo auch dieses versagt, gibt es noch feinere
Hilfsmittel, und wo diese versagen, lassen allgemeinere Erwägungen
das Vorhandensein unmerklicher individueller Verschiedenheiten
deduktiv erschließen1.
1 So schon Nicolaus Cusanus (worauf E. Zilsel, Das Anwendungs¬
problem, 1916, aufmerksam macht) und besonders nachdrücklich Leibniz
in seinem ,,Principium identitatis indiscernibilium“. Man braucht dazu
aber keine metaphysischen Erwägungen; denn aus der W-Rechnung