Die objektiven Werte und das Sollen.
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Ästhetische Werte. — Wie die ethischen, so sind auch
die ästhetischen Werte objektive. Im Übrigen unterscheiden sie
sich von den ethischen — nicht ihrem Inhalte, wohl aber '
ihrer Betrachtung nach. Alles ästhetisch Wertvolle ist an sich
ein ethisch Wertvolles, d. h. es hat zum Inhalt, durch welchen
es ästhetisch wertvoll ist, allemal ein Positives der menschlichen
Persönlichkeit, oder etwas, das zum Menschsein einen positiven
Beitrag liefert ; eine Weise seines positiven Sichbethätigens oder
Sichauswirkens.
Aber der Gegenstand der ästhetischen Betrachtung ist immer nur
ein Ideelles, für die Phantasie Gegebenes, während der Gegenstand
der ethischen Betrachtung und Bewertung ein Wirkliches oder in
der Welt zu Verwirklichendes ist, Und die ästhetische Betrachtung
isolirt ihren Gegenstand, löst ihn insbesondere heraus aus allem
Wirklichkeitszusammenhang, während die ethische Betrachtung
ihren Gegenstand in den Wirklichkeitszusammenhang hineinstellt
und im Zusammenhang mit allen möglichen Gegenständen des
Wertens, die in der Welt verwirklicht werden können, wertet.
Das hier zuletzt Gesagte drücke ich schliesslich nur anders
aus, wenn ich sage: In der ethischen Bewertung ist das Wertende
das ganze ideale Ich; dies fasst ja seiner Natur nach alle mög¬
lichen Gegenstände des Wertens in sich zusammen und macht sie
zu einer in sich gesetzmässigen Einheit, Dagegen ist das Ich,
das in der ästhetischen Wertung wertet, nicht das ganze ideale
Ich. sondern ein Teil desselben, nämlich dasjenige ideale Ich, das
in dem zu bewertenden Gegenstand ein Spiegelbild seiner selbst
und seines freien Sichauswirkens findet. Und was dies ideale Ich
hier wertet, das ist eben dies Spiegelbild seiner selbst oder seines
Sichauswirkens. Das ideale Ich wertet also in der ästhetischen
Betrachtung sich selbst und sein Sichauswirken in diesem
Spiegel. Es ist im reinen ästhetischen Genuss über das gegen¬
wärtige reale Ich hinausgehoben.
Objektive Freiheit. — Dass ich im ästhetischen Objekte
mich selbst finde, dass ich mich selbst auslebe in demjenigen, was
im ästhetischen Objekte an mich herantritt, dies bedingt das Ge¬
fühl der ästhetischen Freiheit. Eine analoge Freiheit gibt es
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