579] Die objektiven Werte und das Sollen. 193
wärtigen Persönlichkeit mit den Forderungen dieses idealen Ich
das endgültige oder sittliche Gefühl der Selbstachtung. Das
Streben nach solcher Einstimmigkeit oder das sittliche Streben
ist das Streben um der Möglichkeit endgiltiger oder sittlicher
Selbstachtung willen. Was ich dabei achte, ist ..der Mensch in
mir“. Es ist genau Dasselbe, wenn ich sage: Was ich achte, ist
das Gesetz, nämlich jenes Gesetz, in welchem alle möglichen
Strebungen sich verdichten und vereinheitlichen.
Das oberste Sittengesetz. — Das Gesetz des Willens
oder der Persönlichkeit, von dem ich hier rede, ist, so wurde schon
gesagt, ein System von Gesetzen oder von Grundsätzen. Alle
Forderungen aber, die das Gesetz stellt, fassen sich letzten Endes
zusammen in der einen, dass alle möglichen Wollungen zu einer
gesetzmässigen Einheit zusammengeschlossen seien, also jedes
einzelne Wollen so beschaffen sei, dass es in diese gesetzmässige
Einheit mit allen anderen möglichen Wollungen sich füge. Diese
Forderung der allumfassenden Gesetzmässigkeit des Wollens kann
als das oberste Sittengesetz bezeichnet werden. Dasselbe be¬
zeichnet nichts Anderes, als die in mir liegende Bedingung des
sittlichen Wollens oder des Bewusstseins, dass ein Wollen „recht“
sei oder Geltung habe, überhaupt. Darin liegt zugleich, dass dies
oberste Sittengesetz in mir nicht geworden ist, wie die einzelnen
ihm untergeordneten Gesetze des sittlichen Wollens. Dasselbe ist
vielmehr der Ausdruck meiner sittlich wollenden Natur oder der
Natur des Geistes, sofern er das Sittliche will. Es besteht, so
können wir sagen „a priori“. Ihm entspricht auf dem Gebiete
der Natur das Kausalgesetz, das auch nichts Anderes besagt, als
dass alle Natur that Sachen in einen einheitlichen, alle mög¬
lichen Naturthatsachen umfassenden gesetzmässigen Zusammen¬
hang sich zusammenschliessen müssen, und das nicht minder
„a priori“ besteht.
Zugleich ist, wie man sieht, jenes oberste Sittengesetz, ebenso
wie dies oberste Gesetz der Natur, schlechthin formal. Eben da¬
rum kann es zugleich alle Inhalte, nämlich alle möglichen In¬
halte des Wollens, oder alle möglichen Zwecke umfassen, so wie
das entsprechende allgemeinste Naturgesetz, eben weil es lediglich
Schriften d. Ges. f. psychol. Forsch. H. 13. 38