II. Tonleitern, Tonsysteme und Stimmungen
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Stimmung und sehen sich genötigt, sie zwar als eine für die Musik¬
entwicklung sehr günstige, aber gefährliche und heute überlebte
Durchgangsstufe zu betrachten. Ihre Angriffe richten sich zunächst
auf die starke und systematische Verderbung unseres Gehörs, die
die von Jugend an auf den verbreitetsten Instrumenten gehörten
verstimmten Intervalle bewirkten. Sodann aber glauben sie, daß
die musikalisch-harmonischen Beziehungen auf diesem seit 200 Jahren
gepflegten System erschöpft seien und ersehnen neue Möglichkeiten
der Harmonik und Melodik. Beides führt zu einer Durchbrechung
des Systems auf das Ziel engerstufiger Oktavteilungen hin. Als ideales
Ziel schwebt in dieser Richtung die Hineinbeziehung aller über¬
haupt möglichen Tonstufen in die musikalische Verwendung vor, so¬
weit sie die Vorstellungsmusik des Komponisten verlangt. Seine Er¬
reichung scheitert natürlich an technischen Problemen; und der Ge¬
danke Magers’1) einer Beseitigung aller festen Tonstufen durch elek¬
trisch betriebene und regulierbare Musikinstrumente ist doch wohl
eine Utopie.
Indem die Neuerer also die temperierte 12-stufige Skala nur für
eine Durchgangsstufe auf dem Wege zu jenem Ideal halten, schlagen
sie verschiedene Möglichkeiten besserer Annäherungen vor, die z. T.
auch durch praktische Versuche erprobt werden. Es lassen sich zwei
Richtungen insofern unterscheiden, als die einen auf der vorhandenen
12-Teilung fußen (so Busoni, Stein), die anderen ganz neue Tei¬
lungen Vorschlägen.
38. Busonis System. Busoni2) schlägt das Dritteltonsystem als eine
Verfeinerung der Chromatik vor. Danach wird der temperierte Ganz¬
ton in drei gleiche Schritte zerlegt, die zwischen c und d etwa als
c+ und d~ bezeichnet seien. Die Oktavzerlegung bekommt also das
Bild:
des
Ses
as
1-
-1-
-1-
—1—
—*-
-1-
—1
c c+ ' d- à ci*
e_ e e+
fis- fis fis*
êis" dis dis*
ais‘ ais aïs*
c1' c
Fig. 6.
Man erkennt an dem Schema, daß hierbei die kleine Terz, die große
Sexte, vor allem aber die reine Quinte und Quarte, also der Dur-
und Mollklang, d. h. alle wesentlichen Bestandteile unserer harmo-
1) Magers in „Die Musik“, 1922/23, S. sioff.
2) Busoni, Entwurf . . , 1906.