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D. Aufnahme und Würdigung des Tones
physiologische Zwangserscheinungen auftreten (so ausgesprochene
Antipathie gegen bestimmte Tonarten u. ä.).1)
108. Wirkungen auf das Vorstellungsleben. Der Wirkung auf das
Gefühlsleben steht eine solche auf das Vorstellungsleben in wechsel¬
voller Weise gegenüber. Zu erwähnen ist hier vor allem die Erschei¬
nung, daß sich Tonempfindungen unbewußt in Vorstellungen von
Beziehungen im Raume umsetzen. Tonstillstand wird als Ruhe,
Tonveränderung — sei es in Höhe oder Stärke — als Bewegung auf¬
gefaßt, und im Besonderen erscheint ein Legatovortrag als ein Durch¬
schreiten, ein Stakkatospiel als ein Durchspringen des Raumes. Auch
die Töne selbst werden mit ihren verschiedenen Schwingungszahlen
in den Raum geordnet und als verschieden hoch bzw. tief empfunden.
Einer dieser Vorstellung (hoch-tief) entsprechenden räumlichen Ver
anschaulichung der verschiedenen Tonhöhen auf einer Geraden ist
nach Révécz2) besser eine Anordnung auf einer Spiralen an die Stelle
zu setzen, da nur diese Darstellung gleichzeitig auch der Qualität oder
der Klangbedeutung im Riemannschen Sinne gerecht wird, indem die
Oktaven übereinander liegen.
Zur Wirkung auf das Vorstellungsleben gehören auch die sog.
Doppelempfindungen, die darin bestehen, daß durch akustische
Reize auch der Gesichtssinn mit in Tätigkeit gesetzt wird, indem
Farbenvorstellungen hervorgerufen werden. Über solche „Farben¬
klangintuition“ soll in hervorragendem Maße Skrjabin verfügt
haben; die Farben verteilten sich bei ihm in nachstehender Weise auf
die verschiedenen Tonarten: c-dur Rot, g-dur Orange-Rosa, d-dur
Gelb, a-dur Grün usw., in auffälliger Übereinstimmung des Quinten¬
zirkels mit der Anordnung der Farben im Spektrum; es-dur und b-dur
sollen keinen Platz im Spektrum gefunden haben; sie besaßen unbe¬
stimmten Farbwert aber ausgesprochenen Metallglanz. Erinnert sei
hierbei an die gelegentlichen Aufführungen seiner Werke, z. B. des
Prometheus mit Lichteffekten.
Auch Liszt besaß Farbenklangvorstellungen („spielen Sie bitte
nicht so blau“), vielleicht auch Schubert (vgl. „die liebe Farbe“,
„die böse Farbe“) u. a. Im einzelnen ist die Zuordnung der Farben
zu den Harmonien individuell verschieden.
Auf die Wirkungen auf das Willensleben ist hier nicht näher einzu¬
gehen. Sie scheinen vor allem dem Rhythmus zuzukommen ; man denke
etwa an den militärischen Gebrauch der Musik, vor allem an die Signale.
1) Vgl. Hennig in Die Musik, 1915, Juli-Sept. 6iff.
2) Révécz, Zur Grundlegung der Tonpsychologie, Leipzig 1913.