Cap. 1.
Reflextliätigkeiten.
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kraft nicht drohend erscheint ; dass nns aber unser \ erstand sagt,
es sei keine Gefahr vorhanden, reicht nicht aus. Ich will eine
unbedeutende Thatsache hier erwähnen, welche diesen Punkt er¬
läutert und welche mich zu ihrer Zeit sehr amüsiit hat. Ich
brachte mein Gesicht dicht an die dicke Glasscheibe vor einer
Puff-Otter in dem zoologischen Garten mit dem festen Entschlüsse,
nicht zurückzufahren, wenn die Schlange auf mich losstürzte. So¬
bald aber der Stoss ausgeführt wurde, war es mit meinem Ent¬
schlüsse aus, und ich sprang ein oder zwei Yards mit erstaun¬
licher Geschwindigkeit zurück. Mein Wille und mein Verstand
waren kraftlos gegen die Einbildung einer Gefahr, welche niemals
direct erfahren worden war.
Die Heftigkeit des Zusammenfahrens scheint zum Theil von
der Lebhaftigkeit der Einbildung und zum Theil von dem entweder
gewohnheitsgemässen oder zeitweiligen Zustande des Nervensystems
abzuhängen. Wer auf das Scheuwerden seines Pferdes, je nachdem
dasselbe ermüdet oder frisch ist, aufmerkt, wird beobachten, wie
vollkommen die Abstufung von einem einfachen Blicke auf iigend
* einen unerwarteten Gegenstand mit einem augenblicklichen Zweifel,
ob er gefährlich ist, bis zu einem so heftigen und schnellen Satze
ist, dass das Thier wahrscheinlich sich nicht willkürlich in einer
so rapiden Weise herumdrehen könnte. Das Nervensystem eines
frisch und gut gefütterten Pferdes schickt seinen Befehl an das
Bewegungsnervensystem so schnell, dass ihm keine Zeit gegönnt
ist, zu überlegen, ob die Gefahr eine wirkliche ist oder nicht.
Nach einem einmaligen heftigen Scheuwerden, wenn das Pferd er¬
regt ist und das Blut reichlich durch das Gehirn fliesst, ist es
sehr geneigt, von Neuem zusammenzufahren; dasselbe gilt, wie
ich bemerkt habe, für kleine Kinder.
Ein Zusammenfahren in Folge eines plötzlichen Geräusches,
wo also der Reiz durch die Gehörnerven vermittelt wird, wild bei
erwachsenen Personen immer von einem Blinken der Augenlider
begleitet13. Indessen habe ich beobachtet, dass meine Kinder, ob-
13 J. Müller bemerkt (Handbuch der Physiologie des Menschen, Engl.
Übers. 2. Bd. S. 1811), dass das Zusammenschrecken immer von einem Ver-
schliessen der Augenlider begleitet werde.