Cap. 10.
Zorn und Indignation.
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Zorn und Indignation. — Diese beiden Seelenzustände
weichen von der Wuth nur dem Grade nach ab, und es besteht
auch kein scharf ausgesprochener Unterschied in ihren charakteri¬
stischen Zeichen. Im Zustande mässigen Zornes ist die Thätigkeit
des Herzens ein wenig vermehrt, die Farbe ist erhöht und die
Augen werden glänzend. Auch die Respiration ist ein wenig be¬
schleunigt und da sämmtliche dieser Funktion dienende Muskeln
in Association handeln, so werden die Nasenflügel etwas erhoben,
um einen freien Einzug der Luft zu gestatten, und dies ist ein
äusserst charakteristisches Zeichen für die Indignation. Der Mund
wird gewöhnlich zusammen gedrückt und beinahe immer findet
sich ein Stirnrunzeln an den Augenbrauen. Anstatt der wahn¬
sinnigen Geberde der äussersten Wuth wirft sich ein indignirter
Mensch unbewusst in eine Stellung, bereit zum Angriffe oder zum
Niederschlagen seines Gegners, den er vielleicht vom Kopf zu
Fuss mit trotziger Herausforderung abmisst. Er trägt seinen
Kopf aufrecht, seine Brust ordentlich gehoben und die Füsse fest
auf den Boden gestellt. Er hält seine Arme in verschiedenen
Stellungen, einen oder beide Ellenbogen eingestemmt oder mit
den Armen starr an den Seiten herabhängend. Bei Europäern
werden die Fäuste gewöhnlich geballt 13. Die Abbildungen Fig.
1 und 2 auf Tafel VI sind ziemlich gute Darstellungen von Leu¬
ten, die Indignation simuliren. Es kann ja auch ein Jeder in
einem Spiegel sehen, wenn er sich lebhaft einbildet, dass er in-
sultirt worden ist und in einem zornigen Tone seiner Stimme
eine Erklärung verlangt. Er wird sich dann plötzlich und un¬
bewusst in irgend eine derartige Stellung werfen.
Wuth, Zorn und Indignation werden in nahezu derselben Art
und Weise über die ganze Erde ausgedrückt. Die folgenden Be¬
schreibungen dürften der Mittheilung werth sein, da sie Zeugniss
hiervon ablegen, und da sie einige der vorstehenden Bemerkungen
13 Le Brun bemerkt in seinen bekannten „Conférences sur l’Expres¬
sion“ (La Physionomie par Lavater, edit. 1820, Vol. IX, p. 268), dass
Zorn durch das Ballen der Fäuste dar gestellt wird. s. in demselben Sinne
Huschke, Mimices et Physignomices Fragmentum Physiologicum, 1824,
p. 20. Auch Sir Ch. B ell, Anatomy of Expression, p. 219.