Volltext: System der Ästhetik. Erster Band

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Dritter Abfchnitt: Normative Grundlegung der Äfthetik. 
Oer Idealfall 
des äflhetifchen 
Verhaltens 
lag überall 
zu Grunde. 
wieviel neue Seiten und Verwicklungen fügten nicht die drei letzten 
Normen hinzu. Frage ich aber, fo wird der ftaunende Gegner weiter 
fprechen, meine Selbftwahrnehmung, fo läßt mich diefe gewöhnlich 
fehr wenig von jenen vielfeitigen, vielgliederigen, beziehungsüber¬ 
reichen Vorgängen erkennen. Was ich in mir erfahre, fcheint im 
Vergleich hierzu dürftiger, andeutender und zerftreuter Art zu fein. 
Und wie follte auch, fo wird er weiter fragen, das menfchliche Be¬ 
wußtfein fähig fein, ftundenlang diefe höchft zufammengefetzten 
Leiftungen zu Tage zu fördern! Ift alfo mit jener Zergliederung, fo 
wird er feine Bedenken fchließen, nicht eine Überfülle von Feinheiten, 
Abftufungen, Verflechtungen in das Bewußtfein hineingetragen, die 
lieh weder tatfächlich in ihm findet, noch auch überhaupt im Umkreis 
feiner Fähigkeiten liegt? 
4. Wie ich fchon mehrmals hervorgehoben, ftand mir von An¬ 
fang bis zu Ende das äfthetifche Betrachten und Genießen in feiner 
möglichft vollkommenen Geftalt vor Augen. Ich wollte zeigen, welche 
Züge das äfthetifche Verhalten in dem Idealfalle, d. h. dann trage, 
wenn es das Höchfte leifte, was nach menfchlicher Natur und Fähig¬ 
keit geleiftet werden kann. Es ift fonach klar, daß, je weiter das tat- 
fächliche äfthetifche Verhalten von diefem Ideale abfteht, an den von 
mir gegebenen Befchreibungen und Normen um fo mehr Abfchwä- 
enungen und Abzüge vorgenommen werden müffen. Wenn mir daher 
eingeworfen werden follte, daß für den gewöhnlichen Befuch von 
Mufeum und Theater oder für das gewöhnliche Lefen von Dichtungen 
jene Befchreibungen und Normen bei weitem zu hohe und feine An¬ 
forderungen ftellen, fo fpreche ich jedem derartigen Hinweis jedwede 
widerlegende Kraft ab. Was bei dem gewöhnlichen Durchfchreiten 
der Mufeen, beim gewöhnlichen, zu Zeitvertreib und Vergnügen unter¬ 
nommenen Theaterbefuch, beim Lefen in müßigen Stunden an äfthe- 
tifchem Verhalten vorkommt, ift nur kümmerliche Annäherung an 
jenes Ideal. Noch viel weniger darf natürlich zur Widerlegung der 
gewonnenen Ergebniffe auf das durch Gewöhnung matt und ftumpf 
gewordene äfthetifche Betrachten hingewiefen werden. Die in meinem 
Zimmer feit Jahren hängenden Bilder, die unzählige Male gehörten 
Weifen aus Troubadour oder Carmen vermögen das äfthetifche Ver¬ 
halten gewöhnlich nur noch in dürftiger Weife in Fluß zu bringen. 
Alle meine Darlegungen gelten alfo von dem in weihevoller Stunde 
aus reinem Bedürfniffe und mit vollkommener Hingebung geübten 
äfthetifchen Betrachten, Nur vergleichsweife feiten alfo befinden wir
	        
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