Zehntes Kapitel: Das Menfchlich-Bedeutungsvolle und die Lebensanfchauung. 487
Hofmarfchall Kalb, und doch ift er in Schillers Tragödie ein wichtiges
Glied. Nicht alfo dies ift ein äfthetifcher Mangel, daß in dem Kunft-
werk Perfonen von minderwertiger Lebensanfchauung auftreten; fon¬
dent äfthetifch ungenügend wird die minderwertige Lebensanfchauung
nur dann, wenn fie vom Künftler zum Sinn und Geift des Kunftwerks
gemacht wird und üe fo die Vorausfetzung für das Menfchlich-Be¬
deutungsvolle bildet, das in dem Kunftwerk dargeftellt werden foil.
Die fich für die Verwertung der Lebensanfchauungen aus der
Norm des Menfchlich-Bedeutungsvollen ergebenden Schranken gelten
nun nicht nur für die Kunft, fondern genau ebenfo und aus denfelben
Gründen für das Naturäfthetifche. Wenn der Betrachter z. B. mit platt
moralifcher Anficht an Vorgänge und Geftalten der Weltgefchichte tritt,
fo wird durch das Einfließen folch ungenügender Lebensanfchauung
in die ihm vor der Phantafie flehenden weltgKchichtlichen Bilder die
Bedeutfamkeit des in ihnen zum Ausdruck kommenden Gehaltes herab¬
gedrückt. Und fo muß überall bei Betrachtung von Vorgängen und
Geftalten des menfchlichen Lebens — fie brauchen nicht gerade der
großen Gefchichte entnommen zu fein — die Bedingung erfüllt wer¬
den, daß der Betrachter eine dem Gegenftand gewachfene Lebens¬
anfchauung mitbringe und einfließen laffe. Naturgemäß macht fich
diefes Erfordernis bei Gegenftänden der landfchaftlichen Natur weit
weniger fühlbar. Hier liegt Zufammenhang mit Lebens- und Welt-
anfchauung entweder gar nicht oder nur in unbeftimmterer Weife vor.
Anwendung
auf das
Natur¬
äfthetifche,