Volltext: System der Ästhetik. Erster Band

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Dritter Abfchnitt: Normative Grundlegung der Äfthetik. 
ein fremdartiges, unverftändliches Liniengewirre bis zu gewiffem Grade 
ftimmungsfymbolifch befeelen. Etwas Ähnliches würde vor fich gehen, 
wenn wir an Eichwald, Blumenflur u. f. w. ohne zu Grunde liegende 
Bedeutungsvorftellung die ftimmungsfymbolifche Einfühlung vornehmen 
wollten. Erft durch das Wiffen von der Bedeutung des Eichwaldes, 
der Blumenflur u. f. w. kommt Ordnung, Gliederung, Durchfichtigkeit 
in das Durcheinander der Linien und Farben. Was alfo ohne ob¬ 
jektive Bedeutungsvorftellung bei dem Verfuche, Naturgebilde ftim¬ 
mungsfymbolifch zu befeelen, herauskäme, wäre ficherlich nicht der 
äfthetifche Wert diefer beftimmten Dinge; vielmehr würde es nur zu 
einem kümmerlichen Einfühlungsverfuch, ähnlich wie etwa gegenüber 
einem feltfamen Gekritzel, kommen können. 
Kein wiffen- Es verlieht fich fonach auch von felbft, daß zu dem äfthetifchen 
fondlrfein Betrachten der untermenfchlichen Geftalten vielfeitige Kenntnis der 
anfchau- untermenfchlichen Welt nötig ift. Doch find hiermit nicht wiffen- 
wiffen. fchaftliche Kenntniffe gemeint. Um eine Schneelandfchaft künftlerifch 
zu würdigen, ift nicht gefordert, daß man über den Schnee phyfi- 
kalifch, chemifch und meteorologifch in befriedigender Weife Auskunft 
geben könne. Gefordert ift nur erfahrungsmäßiges Wiffen von dem, 
was Schnee ift, unter welchen Wetterverhältniffen er fällt, wie er beim 
Anfühlen wirkt, wie es fich im Schnee geht, welche Farben er bei 
verfchiedenen Beleuchtungen zeigen kann u. dgl. Um Pferde, Hunde, 
Kühe, Hühner in Gemälden oder in Wirklichkeit äfthetifch zu würdigen, 
braucht man nicht Zoologe zu fein. Wohl aber wird fich das äfthe¬ 
tifche Betrachten nur dann über das Oberflächliche erheben, wenn 
man Geftalt, Bewegung, Gebaren, Lebensweife diefer Tiere mannig¬ 
fach beobachtet und für das Eigenartige in ihren Gewohnheiten und 
Leiftungen Blick gewonnen hat. 
Vor allem kommt es darauf an, daß fich die Kenntniffe des 
äfthetifchen Betrachters von den Naturdingen auf folche Eigenfchaften 
erftrecken, die in deren Geftalt anfchaulich hervortreten. Für das 
Zuftandekommen des äfthetifchen Eindruckes einer Eiche bedarf es 
nicht des Wiffens von den männlichen und weiblichen Blüten diefes 
Baumes oder von der erften Entwicklung des jungen Pflänzchens. 
Wohl aber ift es nötig, daß man von Wuchs, Rinde, Veräftung, Laub 
der Eiche das Charakteriftifche kenne, und daß man aus ihrer Geftalt 
und der Art ihres Wachfens etwa die Zugehörigkeit der Eiche zum 
gemäßigt nördlichen Klima, die harte, dauerhafte Befchaffenheit ihres 
Holzes, ihre Lichtbedürftigkeit unwillkürlich herauslefe. Oder es handle
	        
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