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Zweiter Abfchnitt: Befchreibende Grundlegung der Älthetik.
Lull an
Oliederung
und Einheit.
Lull der
Entladung.
mit einer Mifchung von beiden verknüpft ift. Um einen Namen zu
haben, will ich in diefer Hinficht von der Luft der befonderen
teilnehmenden und zuftändlichen Gefühle fprechen.
7. Eine bedeutfam hervortretende Luft knüpft fich an die Funktion
des Beziehens, infofern fich diefe als Gliederung und Einigung des
äfthetifchen Gegenftandes betätigt. Das Vergnügen an der Gefchloflen-
heit und Rundung der Kompofition, an der ftrengen und durchfich-
tigen Gliederung, an der wohlabgewogenen Gruppierung der Maffen
u. f. w. gehört zu den Seiten am äfthetifchen Genuß, die am leichterten
und deutlichften zum Bewußtfein zu kommen pflegen. In Bau- und
Tonkunft und im Kunfthandwerk nimmt innerhalb des künftlerifchen
Genufies die bezeichnete Luft bei vielen Betrachtern und gerade bei
den fogenannten „Kennern“ die erfte Stelle ein.
Ich will diefe Luft kurz als die Luft an Gliederung und
Einheit bezeichnen. Es ift hiermit eine allgemeine äfthetifche Luft¬
quelle aufgewiefen. Wir werden die Gliederung und Einheit des
äfthetifchen Gegenftandes als vierte äfthetifche Grundnorm kennen
lernen. Wir haben es hier fonach mit der Luft zu tun, die fich
unmittelbar durch Erfüllung der Norm der Gliederung und
Einheit ergibt.
8. In der Zergliederung des äfthetifchen Vorganges habe ich
abfichtlich von jener ganzen wichtigen und viel enthaltenden Seite
abgefehen, die ich weiterhin als Willen- und Stofflofigkeit des äftheti¬
fchen Betrachtens zu behandeln haben werde. Diefen bisher beifeite
gefchobenen Charakter des äfthetifchen Verhaltens werden wir als dritte
äfthetifche Grundnorm kennen lernen.
Es kann kein Zweifel beftehen, daß aus der Willen- und Stoff¬
lofigkeit eine eigenartige und ftarke äfthetifche Luft entfpringt. Jeder
äfthetifche Vorgang nimmt — natürlich mehr oder weniger — an
diefer Luft teil. Alles, was man als Befreiung von dem Druck der
Wirklichkeit, als Erlöfung von den Feffeln des Lebens, als freie, los-
gelöfte künftlerifche Stimmung, als erhaben fchwebende künftlerifche
Kontemplation zu preifen pflegt, gehört hierher. Ich will kurz von
Luft der Entlaftung reden.
Diefe Luft ift nicht an eine einzelne Seite des äfthetifchen Vor¬
ganges geknüpft. Das Wahrnehmen nimmt an der Luft der Entlaftung
ebenfo fehr teil wie das Fühlen. Auch die Vorftellungselemente, die
das äfthetifche Betrachten enthält, find daran beteiligt. Kurz, es liegt
hier eine Luft vor, die fich an den ganzen äfthetifchen Vorgang fchließt.