Dreizehntes Kapitel: Die Beteiligung der fymbolifchen Empfindungen. 271
von Bewegungsempfindungen allein würde alfo den Linien des Berges
oder der Säule nur ein dürftiges Leben gegeben werden. Es muß
fich mit den Bewegungsempfindungen das entfprechende fmnliche
Lebensgefühl verbinden. Hierzu aber ift Selbftgefühl, Ich-Erleben
notwendig. Erft unter diefer Vorausfetzung ift es möglich, daß uns
Berg und Baum, Säule und Giebel eine Art Leben zu führen fcheinen.
Zweitens aber würde, wenn die Bewegungsempfindungen im wefent-
lichen die Einfühlung ausmachten, die ganze Vergeiftigung des finn-
lichen Lebensgefühls in Wegfall kommen. Diefe aber ift doch überall
bei voller äfthetifcher Hingabe vorhanden. Mancher Berg fteigt kühn,
trotzig an; gewiffe Bergformen erfcheinen bösartig, von grauenhafter
Wildheit, andere von vornehmer Haltung; es gibt wieder andere
Bergformen, die der Ausdruck freundlichen, lieblichen, einladenden
Sinnes zu fein fcheinen. Der emporftrebendë Turm hat zugleich
etwas Siegreiches, Freies, etwas in ideale, überirdifche Höhen Hin¬
weifendes. Von manchen Gewölben fcheint eine dumpfe, fchwere Be¬
drückung auszugehen. Ein Landhaus kann Formen haben, in denen
an lieh fchon Traulichkeit, Kummerlofigkeit, bergende Kraft zu walten
fcheinen. Dies alles käme in Wegfall, wenn die Einfühlung mit den
Bewegungsempfindungen abgefchloffen wäre. So gilt alfo von diefen
Empfindungen, ähnlich wie von den fymbolifchen Empfindungen bei
der Farbeneinfühlung, der Satz, daß fie zwar zu der Einfühlung felbft
gehören, aber doch nur den Anfang darin bilden. Es muß fich an
fie das entfprechende fmnliche Lebensgefühl und weiterhin die Um-
fetzung in die entfprechende Geiftesftimmung fchließen.
9. Indeffen find an der Einfühlung in untermenfchliche Raum¬
formen auch andere Empfindungen beteiligt. Namentlich die mit den
Bewegungsemphndungen nahe zufammenhängenden Kraftempfin¬
dungen greifen in Verbindung mit Druckempfindungen häufig
vermittelnd ein. Gewiffe Formen machen den Eindruck des Schweren,
andere den des Leichten. Die dorifche Säule erfcheint fchwer im
Vergleich zur jonifchen, die ägyptifche Baukunft im allgemeinen
fchwer, wenn man ihr die griechifche im Durchfchnitt gegenüberftellt.
Dies ift nicht etwa fo gemeint, daß in dem Betrachter die Überlegung
entfteht, daß bei wirklichem Wägen die eine Maffe fchwerer wäre als
die andere. Der Becher mit fchweren Formen kann im Gegenteil
ein geringeres Gewicht haben als der mit leichten. Sondern der
Sinn jenes Eindrucks geht dahin, daß die Formen fo ausfehen, als
ob fie fchwer oder leicht wären. Dies ift nur dadurch möglich, daß
Kraft- und
Druckemp-
finduugen.