Zehntes Kapitel.
Übersicht über die gegenständlichen ästhetischen Gefühle.
Was alles zu
den gegen¬
ftändlichen
Oefühlen
gehört.
1. Ich laffe jetzt den Unterfchied von Gefühlsreproduktion und
wirklichem Gefühl beifeite und frage, welche Unterschiede fich ab-
gefehen davon in dem Bereich der gegenftändlichen äfthetifchen Ge¬
fühle hervortun. Was gehört denn alles zu diefen Gefühlen?
Darauf ift zu antworten, daß alle Arten von Gefühlen, die im
wirklichen Leben Vorkommen, auch als gegenftändliche äfthetifche
Gefühle auftreten können : die Mordluft ebenfo wie die Menfchenliebe,
der Trotz gegen Gott ebenfo wie die kindliche Andacht. Und zudem
ift dabei das Wort „Gefühl“ hier in dem gewaltig erweiterten Sinne
zu nehmen, daß nicht nur folche Gemütsbewegungen, in denen ftarke
Zufätze von Strebungen Vorkommen, fondem auch die Willens¬
betätigungen felbft mit darunter zu verliehen find. Genau genommen
müßte man freilich fagen: neben den Gemütsbewegungen werden
von dem Betrachter auch Intereffen, Wünfche, Begehrungen, Be-
ftrebungen, Abfichten, Vorfätze, Entfchlüffe, Vollzug des Handelns,
natürlich auch Stockungen und Schwankungen des Wollens, den dar-
geftellten Perfonen zugefprochen. Um Macbeths oder Wallenfteins
innere Vorgänge zu verftehen, muß der Lefer eine ganze Stufenleiter
von Übergängen des Wünfchens zum Wollen und fchließlich den
Vollzug des Wollens felbft in fich, fei es wirklich, fei es vorftellend,
erleben. Allein da in allen äfthetifch wichtigen Fragen von den dem
Gegenftande zugehörigen Betätigungen des Strebens und Wollens
dasfelbe zu fagen ift wie von den gegenftändlichen Gemütsbewegungen,
fo will ich um der Einfachheit der Ausdrucksweife willen mit der
Bezeichnung „gegenftändliche Gefühle“ auch diefe Betätigungen mit
umfaßt wiffen. Und um fo mehr darf ich mir hier diefe Freiheit der