Neuntes Kapitel : Stellung der gegenftändl. äfthetifchen Gefühle im Gefühlsbereiche. 201
Ift es denn aber, fo kann man weiter einwenden, überhaupt
unvermeidlich, eine Reproduktion des Gefühls als folchen anzunehmen?
Reicht es nicht hin, wenn man zu der Reproduktion der den Gefühls¬
inhalt bildenden Vorftellungen noch die Reproduktion der äußeren
und inneren Umftände, die das Gefühl begleiteten, hinzunimmt? Wäre
die Gefühlsreproduktion in ein folches Zufammen von Vorftellungs-
reproduktion und von Reproduktion der begleitenden Erfcheinungen
zu fetzen, fo wäre damit jenes dunkle Element, jene Gewißheit des
Fühlenkönnens, befeitigt.
Eine folche Annahme würde, fo fcheint mir, der unmittelbaren
inneren Erfahrung nicht Genüge leiften. Wenn ich mich an die
Furcht, Schadenfreude, Andacht erinnere, die ich geltem empfunden
habe, fo mag dabei, ich gebe dies ohne weiteres zu, auch die Re¬
produktion äußerer Anläffe, begleitender äußerer Umftände und äußerer
Wirkungen jener Affekte mitfpielen. Und es mag ferner auch die
Reproduktion der mit jenen Affekten verknüpften Veränderungen im
Vorftellungsleben und in den Organempfindungen helfend eingreifen.
Aber damit ift die Erinnerung an jene Affekte noch immer nicht
vollftändig befchrieben. Es genügt auch nicht zu fagen : es trete noch
das Wiffen hinzu, daß ein unbekanntes X im Bewußtfein mit den
erinnerten Vorftellungen und äußeren und inneren Begleiterfcheinungen
verknüpft gewefen fei. Dies alles deckt lieh nicht mit dem tatfäch-
lichen Erinnerungsvorgang. Wäre dabei nicht mehr in meinem Be¬
wußtfein vorhanden, fo würde mir meine Erinnerung ein linnlofes,
unbegreifliches, lofes Zufammen von Vorgängen zeigen, das des
einigenden, fpringenden Punktes, des löfenden Schlüffels entbehrte.
Ich würde mich eben nicht an die Furcht, Schadenfreude, Andacht
als folche, fondern nur an die Vorftellungen und die begleitenden
äußeren und inneren Vorgänge erinnern. Es würde mir die Erinnerung
an die Erregung meines Selbftgefühls, an die willensartigen Bei-
mifchungen, an den Luft- und Unluftton, alfo gerade an den Nerv der
Sache fehlen. Man möge lieh doch nur vergegenwärtigen, was man
in lieh fpürt, wenn man ßch an einen erlebten Affekt erinnert. Wenn
ich mich z. B. an einen erlebten Ärger erinnere, fo fühle ich mich in
einem gewiffen mittleren Zuftand. Das Gefühl des Ärgers ift nicht
wirklich in mir; und doch weiß ich genau und intim, was das Ärger-
Gefühl in mir gewefen ift; ich ftehe mit diefem Gefühl gewiffermaßen
doch in Berührung. Diefer mittlere Bewußtfeinszuftand wird mir
durch meine Selbftwahrnehmung bezeugt. Hätte nun jene Annahme
Eine Hili's-
hypothefe.
Wider¬
legung
diefer.