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Zweiter Abfchnitt: Befchreibende Grundlegung der Äfthetik.
Ergebnis.
fchwächung nicht zugleich auch ein qualitatives Andersfein verknüpft?
Ohne Zweifel ilt es fo. Vergleiche ich Mitleid, Furcht, Verehrung,
Liebe, wenn fie fich auf diefelbe Perfon in derfelben Handlung und
Lage das eine Mal in der Dichtung, das andere Mal im wirklichen
Leben beziehen, fo zeigt fleh, daß die Art zu fühlen, auch wenn in
beiden Fällen die Richtung auf genau den gleichen Gegenftand vor¬
liegt, doch hier und dort eine andere ift. Es wird dies befonders
aus dem zehnten und den folgenden Kapiteln des dritten Abfchnittes
deutlich werden. Dort wird fich ergeben, daß den äfthetifchen Ge¬
fühlen, indem fie fich auf eine Welt des Scheines beziehen, alle Bei-
mifchungen egoiftifchen und moralifchen Wünfchens und Wollens
fehlen. Auch wenn man von allem anderen abfieht, beweift fchon
diefer Umftand allein, daß jene Abfchwächung der äfthetifchen Gefühle
zugleich qualitative Veränderungen in fich fchließt.
9. Wenn ich das Ergebnis zufammenfaffe und mir dabei mit Rück¬
ficht auf fpätere Erörterungen erlaube, ftatt vom Kunftfchein allgemein
von dem Scheincharakter alles Äfthetifchen zu reden, fo darf ich
fagen: alle drei Arten der äfthetifchen Gefühle zeigen fich beftimmt
durch die ihnen anhaftende Gewißheit vom Scheincharakter des Äftheti¬
fchen. Der von diefer Gewißheit ausgehende Einfluß macht fich bei
den gegenftändlichen und teilnehmenden Gefühlen als un¬
verkennbare Abfchwächung im Vergleiche zu den Èrnftgefühlen
geltend. Damit find zugleich qualitative Veränderungen verbunden.
An den Zuftandsgefühlen dagegen tritt jener Einfluß, wie er auch
fonft befchaffen fein mag, keineswegs in Form jener unzweideutig
fühlbaren Abfchwächung auf. Es hat daher — nebenbei bemerkt —
einen guten Sinn, wenn Hartmann die gegenftändlichen und teilneh¬
menden äfthetifchen Gefühle als „Scheingefühle“ bezeichnet und von
der „realen Luft am Schönen“ unterfcheidet. Nur darf man bei dem
Wort „Scheingefühl“, wie gezeigt wurde, nicht an den Gegenfatz des
wirklichen Fühlens und des Vorftellens von Gefühlen, fondern
einzig an den Gegenfatz zum wirklichen Leben denken.
Mit diefer Steilung zu den Ernftgefühlen des wirklichen Lebens
verbindet fich nun die hiervon ganz verfchiedene Stellung zu dem
Gegenfatze: Gefühl und Gefühlsreproduktion. Die gegenftändlichen
Gefühle, die in jener Hinficht durchgehends abgefchwächte Gefühle,
oder wenn man will, Scheingefühle find, fcheiden fich in diefer Be¬
ziehung: fie find teils wirkliche, teils reproduzierte Gefühle. Die Ge¬
fühle der Teilnahme dagegen find ausnahmslos wirkliche Gefühle,