Volltext: System der Ästhetik. Erster Band

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Zweiter Abfchnitt: Befchreibende Grundlegung der Äfthetik. 
Die 
Zuilandsge- 
fühle unter 
dem Einfluß 
diefer 
Gewißheit. 
Die gegen¬ 
ftändlichen 
und teil¬ 
nehmenden 
Gefühle 
unter dem 
Einfluß 
diefer 
Gewißheit. 
Auf die eigentümliche Veränderung nämlich kommt es mir hier 
an, die die äfthetifchen Gefühle unter der Einwirkung des Kunftfcheines 
erfahren. Ift das äfthetifche Gefühl von der Gewißheit diefes Scheines 
begleitet, fo nimmt es naturgemäß eine andere Geftalt an, als wenn 
es mit der Gewißheit von der vollen Wirklichkeit der Gegenftände, 
auf die es geht, verknüpft ift. Diefe Umgeftaltung unteres Gefühls¬ 
lebens unter dem Einfluß der Gewißheit vom Kunftfchein nun eben 
ift es, was mit der Herabfetzung des Gefühls zur Gefühlsvorftellung 
nicht verwechselt werden darf. Sonft entlieht, wie bei Konrad Lange, 
eine trübe Mifchung halbrichtiger und halbfalfcher Behauptungen. 
Diefe Umgeftaltung betrifft alle Arten der im äfthetifchen Ver¬ 
halten vorkommenden Gefühle: die gegenftändlichen, teilnehmenden 
und auch die Zuftandsgefühle. Am wenigften fällt die Umgeftaltung 
bei den Gefühlen diefer dritten Art in die Augen. Aber auch hier 
liegt ein Unterfchied von den entfprechenden Gefühlen des Lebens- 
ernftes vor: die Erquickung, Erhebung, Bedrückung, Erfchütterung, 
die ich durch ein Lied oder ein Drama erfahre, ift von anderer Art 
als die gleichen Gefühle, die mir durch die emfte Wirklichkeit ent¬ 
liehen. Die Intereffen, Wünfche, Befürchtungen, Hoffnungen meines 
Ich find in dem Ernftfalle in ganz anderer Weife an den Zuftands- 
geftihlen beteiligt als dort, wo uns bloßer Schein befchäftigt hat. 
Doch kann ich von diefem die Zuftandsgefühle betreffenden Unter¬ 
fchied im gegenwärtigen Zusammenhänge abfehen, da hier eine Ver- 
wechfelung mit dem Unterfchied von vorgeftellten und wirklichen 
Gefühlen nicht zu befürchten ift. 
Die Möglichkeit einer folchen Verwechfelung liegt dagegen bei 
den gegenftändlichen und teilnehmenden Gefühlen nahe. Hier nämlich 
macht lieh jene Umgeftaltung unter dem Einfluß des Kunftfcheines 
vor allem als eine auffallende Abfchwächung bemerkbar. Die Liebes- 
gefühle, die im Zufchauer den Liebesvorgängen zwifchen Hero und 
Leander entfprechen, erfcheinen fchattenhaft im Vergleiche mit feiner 
Liebesleidenfchaft im wirklichen Leben; die teilnehmenden Gefühle, 
mit denen er das Schickfal der Perfonen in Hauptmanns Einfamen 
Menfchen begleitet, erfcheinen matt im Vergleiche etwa mit der Teil¬ 
nahme, mit der ihn eine ähnliche Tragödie in der Familie feines 
Freundes erfüllt. Konrad Lange gebraucht eine Fülle von Bezeich¬ 
nungen, um dem Lefer diefe Abfchwächung eindringlich zu machen; 
er fpricht von dem Gemäßigten, Gedämpften, gewiffermaßen auf halbem 
Wege Steckengebliebenen der äfthetifchen Gefühle, von dem Darüber-
	        
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