405
1(3. Freundschaft, Bekanntschaft, Umgang, Verkehr.
Von den geheiligten Banden der Eltern- und der Kindes¬
liebe, von der verzehrenden Gluth sinnlicher Leidenschaft, der
ätherischen Flamme romantischer Jugendliebe, und dem zwar
prosaischeren aber unendlich traulichen, behaglichen Kamin¬
feuer ehelichen Glückes, kommen wir jetzt in ungleich kühlere
Kegionen, zu Gefühlsverhältnissen, die eben wegen dieser ihrer
kühleren Beschaffenheit nicht von so unmittelbar eingreifender
Wichtigkeit, nicht von so affektvoller und leidenschaftlicher
Triebkraft sind wie die bisher erörterten Gefühlsverhältnisse,
denselben aber an allgemeiner Bedeutsamkeit in ethischer,
politischer, socialer und religiöser Beziehung nicht im Mindesten
nachstehen. ^Was würde wohl aus der Welt werden oder be¬
reits geworden sein, wenn es keine andern Liebesbande als
die bisher bezejchneten gäbe, wenn bloss die eignen und die
Interessen der Familie Berücksichtigung erheischten und
fänden, wenn zwischen den Familien nur Kaltsinn und schroffe
Absonderung herrschte? Wie Alles vertrocknen und verarmen,
in jämmerliche Einseitigkeit, Spiessbürgerthum und Philisterei
erstarren und verbauern, in Nepotismus und Kliquenwesen
"elend zu Grunde gehen müsste, liegt auf der Hand. Die Ge¬
schichte hat uns zum Ueberfluss in dem griechischen Hetärien-
wesen ein unserem Idealbilde theilweise nahekommendes ab¬
schreckendes Beispiel auf bewahrt und Mommsens klassischer
Griffel hat es jedem Gebildeten zugänglich gemacht. Christi
erhabenes Gebot allgemeiner Menschenliebe ist miserai auf¬
geklärten und erleuchteten Zeitalter längst als eine altmodische,
überdies unmögliche Idealsschwärmerei erschienen. Wir werden
darauf noch zurückzukommen haben. An dieser Stelle soll
nur darauf aufmerksam gemacht werden, dass es damit, dass
Jeder nur sich und die Seinen liebt, erst recht nicht geht,
dass Verkümmerung und Verderbniss das Loos der Mensch¬
heit sein müsste, wenn Jeder die Wärme seiner Sympathieen
und Interessen statt in das grosse Ganze der Menschheit hin¬
ausstrahlen zu lassen, nur auf den engen Raum seiner Familien-
laterne zu beschränken bedacht wäre.