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Yerhältniss der ehelichen zur bräutlichen Liebe.
ideal, durch die Illusion der Erwartung leichter und schöner
gefärbt, diese mühevoll, hinter der Idee nothwendig mehr oder
weniger zurückbleibend, aber durch und durch wahr und real.
Der sexuelle Reiz ist verblasst und hat seine leidenschaftliche In¬
brunst verloren, aber wie wir uns erinnern, nahm derselbe
doch auch in der Phantasie der Liebenden normaler Weise
einen viel geringeren Spielraum ein, als die Gemeinschaft des
Lebens und das ungetrennte Beisammensein mit der geliebten
Person. Auch dieses hat nothwendigerweise seine ganze
Leidenschaftlichkeit eingebüsst, aber es hat dadurch nur
gerade so viel eingebüsst, als erforderlich ist, die ruhige Ver¬
nunft zur Oberherrschaft, die ihr gebührt, gelangen zu lassen. Ja
wenn wir recht überlegen, ist eigentlich auch in dieser Beziehung
nur das natürliche Mittelmass, die gesunde Norm wieder¬
hergestellt. In der That, wir ertragen an einem jungen Braut¬
oder Ehepaar allenfalls dieses Uebermass von Zärtlichkeit und
Liebesschleekerei, an einem älteren Paare aber wird es uns
sofort widerlich. Und worin besteht die Veränderung? Man
ist nicht mehr so übertrieben galant, aber aufopferungsfähiger
(wenigstens sollte man es sein und ist es in einer guten Ehe
mehr oder weniger auch wirklich), man wird nicht mehr rotli
und blass, wenn man der Geliebten begegnet, das Zimmer
erscheint uns nicht mehr verdunkelt, wenn sie aus der Thür
geht, man steckt sie sogar je zuweilen aus der Studierstube
hinaus: aber immer ist doch sie es, die „zu dem Guten den
Glanz und den Schimmer“ verleiht, die den Mittelpunkt des
ganzen Seins und Lebens bildet, wenn sie mal verreist, er¬
scheint das ganze Haus seltsam todt, fehlt sie an allen Ecken
und Enden, das Essen schmeckt nirgend so gut als zu Haus,
und mit dem deutsche Volke steht es noch nicht ganz schlecht,
so lange das vulgäre Wort Wahrheit behält: „Am Besten ist
es doch bei Muttern.“
Und so ist es doch dieselbe Liebe, der selbe auf dauernde
und völlige Lebensgemeinschaft gerichtete Bund, das Gefühl
engster Verbundenheit von Person zu Person, nur
metamorphosirt, in reinerer, verklärterer, ver-