Volltext: Analyse der qualitativen Gefühle

Der Scharfsinn. 
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Identität und Negation, Beides geht untrennbar nebeneinander 
her, jedes ist gleich nothwendig auf das Andere angewiesen, 
beide tragen zu dem gemeinschaftlichen Effekt der Erkenntniss 
gleich viel bei. Man kann daher wirklich zweifeln, ob es 
angänglich, ein besonderes Gefühl für den Unter¬ 
schied neben dem Gefühl für die Gleichheit anzunehmen. 
Indess bemerkt man leicht, dass trotz dieses engen Zu¬ 
sammenhanges die beiden Glieder desselben jedes ihr selbst¬ 
ständiges Dasein führen. Das Vergleichen], die Synthese, 
ist die abschliessende, das Unterscheiden die vor¬ 
aufgehende, vorbedingende Thätigkeit, diejenige, 
welche anzeigt, dass der Erkenntnissakt seinen endgültigen 
Abschluss noch nicht gefunden hat. Daher ist der Witz 
funkelnd, brillant, wirkt erheiternd, weil er eben den Denk- 
und Erkenntnissakt Knall und Fall zum Abschluss bringt. 
Der Scharfsinn dagegen bleibt dahinter sehr bescheiden zu¬ 
rück. Erzerlegt, spürt, trennt, er ist der Vater des Zweifels, 
welches Wort recht eigentlich auf ihn zurückweist. Daher 
ist er weit entfernt, solchen begeisterten Empfang zu finden, 
uls sein glücklicherer Zwillingsbruder. Im Gegentheil, er fällt 
oft lästig nicht nur als quälender Zweifel, sondern auch als 
müssiger, unfruchtbarer Scharfsinn, und selbst günstigsten Falles 
muss er sich mit dem succès d'estime der zweiten Rolle, etwa 
mit demjenigen Grade des Wohlgefallens begnügen, wie ihn die 
niederen Grade des Begreiflichen und des Schlagenden 
einflössen. 
Aber nicht bloss dem Grade, der Intensität nach 
unterscheidet sich das Wohlgefallen am Scharfsinn von dem¬ 
jenigen am Witz, auch ein qualitativ verschiedenes 
Verhalten ist leicht festzustellen. Das Unterscheiden nimmt 
gegenüber dem Vergleichen genau die Stellung ein, wie bei 
den Tongefühlen die Dissonanz zur Konsonanz. Nun wird es 
zwar Keinem leicht einfallen, die Dissonanz als eine besondere 
Art der Harmonie zu bezeichnen, so richtig es ist, dass sie 
als wesentlicher Faktor in dieselbe eingeht und wiewohl sie 
im Septimakkord gewissermassen ihren legitimirten Vertreter
	        
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