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Der Beweis, dass die associirten oder, wie man sie gewöhnlich
nennt, höheren Gefühle in dem sinnlichen des Schmerzes ihre
Wurzel haben, liegt in der allmählichen Entwicklung des Gefühls¬
lebens beim Kinde. Ursprünglich nur auf das Nahrungsbedürfnis,
das körperliche Wohlbehagen gerichtet, wird es später auf Personen
ausgedehnt, welche dasselbe fördern, endlich auf die Kleidung, die
Spielsachen u. s. w. Entscheidend für diese Auffassung ist ferner
die Übereinstimmung der äusseren Symptome der Unlust beim
Kinde wie beim Erwachsenen mit denen des Schmerzes. Die
mildeste Form andauernden Unlustgefühls, die sog. schlechte
Stimmung, kann ebensogut durch körperliches Unwohlsein wie durch
psychische Eindrücke hervorgerufen werden. Kummer, Sorge, Trauer
haben mit körperlichen Schmerzen, speziell mit den dumpfen,
bohrenden, herumziehenden gemein den Verlust der Elasticität des
Geistes und Körpers. Der seelisch Leidende ist wie der körperlich
Leidende willenlos, unfähig zu anstrengender Muskelarbeit. Die
Verdauung liegt darnieder, der Schlaf ist unruhig, die Atmung
flach, die Herzthätigkeit herabgesetzt, die Gewebe in Folge unge¬
nügender Füllung mit Lymphe schlaff, der Gesichtsausdruck ent¬
stellt, gealtert. Zuweilen steigert sich der Schmerz zu Paroxysmen
mit asthmatischen Beschwerden, seufzender Atmung, unregelmässiger
Herzthätigkeit und raschen Schwankungen des Blutdrucks. Die
Thränendrüse secernirt reichlich, als ob eine Verletzung des Auges
stattgefunden hätte.
Ich habe schon auf den Irrtum hingewiesen, welcher diese Be¬
wegungen als Ursachen der Gefühle auffasst. Es ist zwar richtig,
dass die Ausdrucksbewegungen, welche die Gemütsstimmungen be¬
gleiten, ihrerseits wieder wahrgenommen werden und den psychischen
Zustand beeinflussen können. So wird ein Errötender, der die
Hitze in den Wangen aufsteigen fühlt, in seiner Verlegenheit be¬
stärkt, weil er nun weiss, dass sein Gemütszustand jedermann offen¬
kundig ist. Im Allgemeinen dürften jedoch diese secundären Mo¬
difikationen keine wesentliche Bolle spielen.