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Th. Lipps:
constatire und denen gegenüber ich mich wollend, gleich¬
gültig oder widerwillig verhalte. Und wenn sie verschwunden
sind, so kann ich mich ihrer wiederum als thatsächlicher körper¬
licher Zustände erinnern. Sie ergeben die Erinnerung des
Wollens, wenn ich mich des Willensgefühls zugleich mit¬
erinnere. Aber selbst dann ist die Erinnerungsvorstellung
nicht gleichbedeutend mit jetzigem Wollen.
Oder vielmehr, ich habe in Obigem noch zu viel zuge¬
standen. „Objective“ Erlebnisse, das hat keinen Sinn ohne den
Gegensatz zum Subject; und die „Erlebnisse“ bezeichnen eine
Beziehung zu dem Ich, für das sie als Erlebnisse sich dar¬
stellen. Es ist aber in diesem Ich das Strebungsgefühl das in
erster Linie Constituirende.
Im Strebungsgefühl, das sich befriedigt, besteht unser Acti-
vitats- und Freiheitsgefühl, im Strebungsgefühl, das bleibt oder
zum Gefühl des unbefriedigten Gegensatzes sich verschärft, unser
Passivitäts- oder Zwangsgefühl. Dass nun mit einem Geschehen
jenes Activitälsgefühl sich verbindet, das ist es einzig und allein,
was ursprünglich der „Activität“ oder dem „Thun“ im Vergleich
zum blossen Geschehen seinen besonderen Sinn gibt; dass mit
einem Sein oder Geschehen dieses Passivitäts- oder Zwangs¬
gefühl verbunden erscheint, das allein macht dies Geschehen
für mein unmittelbares Bewusstsein zu einem „Erleben“ oder
„Erleiden“, zu Etwas, das „mir aufgedrängt“ oder „aufge-
nöthigt“ ist. Activität und Passivität, Thun und Erleiden, Frei¬
heit und Nothwendigkeit, alle diese Worte haben so ihren
ursprünglichen, dem unmittelbaren Bewusstsein entstammenden
Sinn, den Sinn, ohne welchen wir gar keinen Anlass hätten,
diese besonderen Worte zu gebrauchen, einzig in der Verbindung
eines Bewusstseinsinhaltes mit einer Art des befriedigten oder
unbefriedigten Strebungsgefühls. Erst durch eine Art Anthropo¬
morphismus, den die Psychologie genauer zu bezeichnen hat,
kommen wir dazu, die Begriffe auch auf das Geschehen als
solches, ohne Beziehung auf ein begleitendes Strebungsgefühl,
zu übertragen. — Wie kann man, so frage ich, das Strebungs¬
gefühl, durch dessen Hinzutritt erst, was in der Welt, der