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Hubert Roetteken
wie sie in den oben angegebenen Mitteln durch einen kurzen oder
verhallenden Klang dahin gerichtet wurde, und wir würden das Ge¬
fühl der vergeblichen Anspannung, das heifst der vollkommenen Stille
haben. —
Die Darstellungsnüttel für diejenigen Seiten der physischen Welt,
welche sich den niederen Sinnen erschliefsen, hat Viehoff gar nicht
behandelt. Dafs auch diese niederen Sinne in der Poesie eine ge¬
wisse Rolle spielen, hat zum Beispiel Zeising*) hervorgehoben mit
der Warnung, dafs der Dichter bei der Benutzung dieser Motive vor¬
sichtig sein müsse, worauf hier nicht einzugehen ist. Er nimmt die
einzelnen Sinnesgebiete durch, ohne indessen auf die uns inter¬
essierende Frage einzugehen. Ich versuche auch darüber einiges
hinzuzufügen. Die Schwierigkeit für die Benutzung dieser Sinnes¬
gebiete liegt darin, dafs ein reproduzieren qualitativ bestimmter Vor¬
stellungen hier in den meisten Fällen unmöglich ist.
Das gilt zunächst vom Geschmack. Es ist jedenfalls nur
wenigen Menschen gegeben, eine bestimmte Geschmacksempfindung
zu phantasieren; ich selbst bin zum Beispiel vollständig aufser stände,
es zu tun. Fechner**) führt allerdings zwei Personen an, denen dieses
doch gelang: Professor Drobisch erzeugte Erinnerungen in anderen
Gebieten als in dem des Gesichtes ebenso leicht, als in diesem selbst,
und ebenso vermochte Fechners Gattin Geschmacksempfindungen
leicht und deutlich zu reproduzieren. Diese Dame zeichnete sich aber
überhaupt durch eine Klarheit und Lebendigkeit ihrer Phantasiebilder
aus , welche den Mittelwert entschieden weit übertrifift und auch
Professor Drobisch scheint deutlicher phantasiert zu haben, als die
meisten anderen Menschen. Bei einigen der Fechnerschen Versuchs¬
personen fehlen leider auf den Geschmack bezügliche Angaben.
Fechner selbst vermochte keine Geschmacksempfindungen zu reprodu¬
zieren; Volkmann hat niemals Geschmacksträume gehabt: er afs im
Traume gar nicht selten, aber stets ohne Geschmacksempfindung.
Selbst H. Meyer, welcher Gesichtsvorstellungen und die Empfin¬
dungen des Druckes, der Wärme und Kälte mit vollkommen sinn¬
licher Deutlichkeit hervorzurufen vermochte, gelang dieses doch mit
Geschmacksempfindungen nicht; allerdings auch nicht mit Gehörs¬
empfindungen. Wundt an der schon einmal angeführten Stelle seiner
*) Ästhetische Forschungen. Frankfurt a. M. 1855. §. 446 ff.
**) Elemente der Psychophysik. II. S. 481 f.