Zur Lehre von den DarstellungsmJtteln in der Poesie.
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und können nun den Blick über die Gestalt schweifen lassen und in
mühelosem successivem Aufnehmen uns eine Art Gesamtvorstellung
verschaffen (vergleiche die Anmerkung auf Seite 22).
In demselben Paragraphen, in dem Viehoff von der Gradation
spricht, erwähnt er kurz noch die Hilfe, die unserer Phantasie eine
symmetrische Stellung zweier Figuren giebt. Wie sehr unsere Phantasie
geneigt ist, symmetrisch zu schaffen, hat mir neulich wieder eine zufällige
Beobachtung gezeigt. Ich versuchte mit fixiertem Blick mir die streichelnde
Hand vorzustellen, um zu sehen, ob ich dabei ins Konturenzeichnen hinein¬
geriete. Ich hatte die rechte Hand im Sinne und dachte mir den
Daumen etwas von den andern Fingern entfernt. Wenn nun die
Hand nach links strich und den Fixationspunkt überschritt, so ver¬
wandelte sie sich plötzlich in die linke, das heifst der Daumen, der
vorher auf der linken Seite der Hand gewesen war, war nun auf der
rechten. So ging es einigemale hin und her, bis ich durch eine kleine
Willensanstrengung dem Spiel ein Ende machte. —
In einem späteren Paragraphen behandelt Viehoff den Kontrast in
seinem Einflufs auf die Klarheit der Phantasiebilder. Es kommt zu¬
nächst der Farbenkontrast, besonders der Farbenkontrast mit dem
Hintergründe in Betracht. Dahin gehört Jean Pauls Beispiel von den
blendenden Zähnen in Mohrengesichtern; oder ein anderes Beispiel ist
etwa eine Dame, die in heller Balltoilette in der Türe des dunklen
Nebenzimmers erscheint. Solche Kontraste sind wirkliche Hilfen für
die Bildung der Phantasiebilder. Die Farbe hebt sich vom Hinter¬
gründe scharf ab und die Konturen der Gestalt treten bestimmt her¬
vor, während sie auf gleichfarbigem Hintergrund ungewisser verlaufen.
Wenn mir kein Hintergrund ausdrücklich gegeben ist, so erscheint er
in meiner Phantasie stets farblos, dunkel, und einer Gestalt in hellen Farben
kommt daher auch in diesem Falle bei mir die Gunst jenes Kontrastes
zu statten. Etwas anderes ist es mit den übrigen von Viehoff an¬
geführten Kontrastarten; diese bieten, wie mir scheint, keine direkte
Erleichterung des Phantasierens, sondern haben nur die Wirkung-, ein
Interesse zu erwecken. Also zunächst Gröfsenkontraste: Zwerg neben
dem Riesen, dem er bis ans Knie reicht. Das ungewöhnliche Ver¬
hältnis zieht zunächst, wie schon gesagt, unsere Aufmerksamkeit an.
Ferner zwingt die Vorstellung zum Konturenzeichnen: will ich die
Gestalt des Zwerges neben der des Riesen haben, so mufs ich not¬
wendig meinen Blick an der überragenden Riesengestalt hinauf- oder
hinabgleiten lassen, unterlasse ich es, so habe ich auch nur von den