Zur Einfühlung. III. Die eingefühlten Bestimmtheiten.
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Diese Verschmelzung* versteht man aber nur recht, wenn man
die Beziehung* zwischen dem Gegenstand und mir völlig sich
vergegenwärtigt. Und diese Vergegenwärtigung muß anheben
mit dem Gegensatz zwischen beiden. Die Beziehung selbst
hat ihre zwei Seiten. Aber sie hat auch ihren Einheitspunkt.
Demgemäß versteht nur der die Einfühlung ganz, der diese Be¬
ziehung ganz versteht.
Dieser Einheitspunkt ist nun beispielsweise bei der Melodie
und bei den in das Ganze der Melodie sich einfügenden Tonen
und bei den Anzahlen erreicht. Beispielsweise, sage ich,
ist er da erreicht. Damit will ich einmal andeuten, daß er
überhaupt erreicht sei bei den Ganzen und den in ein Ganzes
sich einfügenden oder eingefügten Gegenständen. Zum andern
aber will ich daran erinnern, daß damit doch in jedem Falle
nur ein Beispiel der Einfühlung gegeben ist. Die Teile des
Ganzen fügen ins Ganze, so sahen wir ehemals, nicht selbst
sich ein, sondern ich bin allein der sie Einfügende. Die Ein¬
fügung ist mein Tun. Dies Tun nun ist ein Bewußtseins¬
erlebnis, eine Bestimmtheit meiner oder, um einen neuen Aus¬
druck zu gebrauchen, ein subjektives Moment. Dies Moment
aber ist, obgleich ein subjektives Moment, doch für mich den
Tonen angehörig, in diesem Sinne eine Bestimmtheit der
Töne. So ist es nicht, weil es irgend jemand so will, sondern
tatsächlich. Und in dieser Tatsache eben besteht die Ein¬
fühlung. Auch sie ist also nicht ein besonderes Tun, das ich
auch unterlassen könnte, sondern eine Tatsache, an der ich nichts
ä.ndern kann. Und nur sofern diese Tatsache auch in unserem
Falle besteht, ist er ein Beispiel der Einfühlung.
Natürlich aber bestehen daneben noch anders geartete Bei¬
spiele der Einfühlung. Es gibt ja noch mehr Bestimmtheiten
meiner, die ebensowohl und aus demselben Grunde für mich
zugleich Bestimmtheiten von Gegenständen sind. Man rede
aber nicht von Einfühlung, wenn man nicht weiß, was Ein¬
fühlung ist.
Aus dem hier über den Sinn des Wortes Einfühlung und oben
über das sachliche Ganze Gesagten ergibt sich auch erst eigent¬
lich der Sinn der Behauptung, das sachliche Ganze sei das-
Lipps, Psychol. Untersuch. II.
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