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Theodor Lipps.
das einfache Verselbständigen, etwa eines Dinges, Ereignisses,
Zustandes auf physischem Gebiet, oder auch eines Bewußtseins¬
erlebnisses, ebenso aber auch das abstrahierende Herauslösen,
von dem oben gesprochen wurde, und das inhaltliche Heraus¬
nehmen, z. B. des Urteils aus unseren Urteilen, von dem schon
im ersten Aufsatz dieses Bandes die Rede war. Dahin gehört
auch etwa das abstrahierende Herauslösen des Grünseins aus der
wahrgenommenen oder vorgestellten grünen Fläche und wiederum
das Herausnehmen des Grün, dieser „sinnlichen Qualität“, aus
dem Grünsein.
Und die Vielheit ist entweder eine Vielheit von sogenannten
selbständigen Gegenständen, et-wa von Dingen, oder sie ist eine
Vielheit von Einsen, also von Elementen der Zahl, oder sie ist
die Vielheit von Gegenständen, die eine Anzahl bilden, oder
von Teilen eines sachlichen Ganzen.
Es entsteht aber durch dies Fassen, das Fürsichfassen und
Zusammenfassen, für uns erst das Mannigfaltige, es entsteht für
uns erst, wie ich vorhin sagte, nicht nur der Gegenstand, sondern
dieser und jener Gegenstand. Dies Fassen können wir auch
Formen nennen. Dann bedürfen solchen geistigen Formens alle
die mannigfachen Gegenstände zu ihrem Dasein für uns, so
wie die Ziegelsteine des physischen Formens zu ihrem physischen
Dasein bedürfen. Vorgezeichnet nur kann uns dies unser
Fassen und Formen in dem Gegebenen oder Erdachten sein.
Auch dies Fassen oder Formen schon müssen wir selbst
vollbringen und niemand kann es an meiner Stelle vollbringen.
Angenommen, jene bekannte Fiktion, daß dem Bildhauer durch
die Adern und Färbungen des Marmors sein Tun vorgezeichnet
sei, treffe allgemein zu, so müßte der Bildhauer doch das Bild¬
werk noch heraushauen, damit es vor ihm stände. So nun muß
ich alle Gegenstände erst geistig heraushauen, um sie geistig
zu haben. Ich muß sie fassen und formen. Gewiß wäre es der
Mühe wert, der Mannigfaltigkeit dieses Fassens und Formens
nachzugehen und die Arten desselben recht scharf zu scheiden.
Hier aber kann der Versuch dazu nicht unternommen werden.
Es tritt aber zu dem Fassen und Formen ein weiteres Ver¬
halten, nämlich ein Verhalten zu den schon gefaßten und geformten