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Theodor Lipps.
Richtung-, Voreinander und Hintereinander, Auseinander das
dieser Richtung- ang-ehört, Tiefenlage ist Lage an einem Punkt
der dadurch bezeichneten Linie, Größe einer Tiefenerstreckung
ist Größe des Auseinander auf dieser Linie. Und ich verstehe
unter den gebrauchten Worten schlechterdings nichts als dieses.
Vor einem Baume B stehe, gleichgültig, ob in einem wirk¬
lichen Wald oder nur gemalt, ein Baum A. Sie stehen un¬
mittelbar voreinander. Dann sehe ich nicht ihre Entfernung
voneinander, also auch nicht die Größe der Entfernung, soweit
sie Tiefenentfernung ist. Ich kann sie nicht sehen, da ja der
Unterschied der Tiefenlag-e oder die Linie, die ihn bezeichnet,
die Linie zwischen den beiden Bäumen, soweit sie in meine
Blickrichtung fällt, von dem vorderen Baume völlig verdeckt
wird. Auch hier ist nicht geleug-net, daß ich diese Linie recht
wohl zu sehen vermöchte, wenn ich mich seitwärts begäbe.
Dann wäre aber eben, was jetzt für mich Tiefenausdehnung ist,
nicht mehr oder nicht mehr bloß Tiefenausdehnung.
Und auch dies ist durch das Gesagte nicht ausgeschlossen,
daß auch hier Anzeichen der Tiefenlage und Tiefenausdehnung
von mir gesehen werden. Wie sollte ich sonst dazu kommen,
im gegebenen Falle von Tiefe und Unterschieden der Tiefe
auch nur zu reden? Als Anzeichen oder Wegweiser dienen in
diesem Falle etwa die Luftperspektive, die relative Größe der
gesehenen Bäume, die Art derselben sich zu überschneiden usw.
Aber die Linie selbst oder der Tiefenunterschied ist, wenn ich
jene Bäume sehe, von mir nicht mitgesehen. Trotzdem glaube ich
an diesen Unterschied. Ich urteile, diese Tiefenausdehnung sei
da, und ich tue dies schon im gemeinen Leben mit Notwendig¬
keit, wenn ich auch hinsichtlich der Größe der Tiefenausdehnung
irren mag. Daher ich denn auch in diesem Falle die Tiefen¬
ausdehnung, die ich tatsächlich nicht sehe, zu sehen meine.
Und so sehe ich überhaupt keine Tiefe. Die dritte Dimen¬
sion, wie man auch sagt, besteht nicht fürs Auge, sie kommt
in den Netzhautbildern und den durch sie erzeugten Wahr¬
nehmungsbildern nicht vor. Sie ist durchaus Sache meiner Be¬
urteilung, meines Meinens oder Wissens. Und es ist die Aufgabe
der Beurteilung oder meines Urteilens, die Tiefenausdehnung*,